Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Hemd aus. Seine dunkle Haut ist makellos, und ich sehe zu, wie er seine Armbanduhr abnimmt und anfängt, sich die Schuhe aufzuschnüren. Ich lade die Pfeife, und als ich den Rauch ausstoße, habe ich schon beinah vergessen, dass Noah noch keinen Meter vom Bett entfernt sitzt. Carlos und ich küssen uns. Er riecht nach Old Spice und Tabak, eine eigentümliche Geruchsmischung, die ich mit meinem Vater verbinde. Wir wälzen uns auf dem Bett, und nicht lange, da brauche ich den nächsten Hit und wieder ein paar große Schlucke Wodka. Ich lade die Pfeife, nehme einen tiefen Zug und drehe mich im Ausatmen nach Noah um. Ich versuche in seinem Gesicht zu lesen und entdecke weder Wut noch Abscheu oder Kummer. Was ich sehe oder jedenfalls zu sehen meine, ist Mitgefühl. Als ich zur Bar gehe, um mir noch einen Drink zu machen, frage ich ihn, ob er genug hat, und er sagt:
Nein, schon gut
. Ich möchte zu ihm, möchte bei ihm sein, und jetzt ärgert es mich, dass Carlos da ist. Ich trinke und rauche erneut, bevor ich wieder ins Bett gehe, mein Körper ist von Begierde entflammt – ein tosender, alles verzehrender Hunger. Schon sind Carlos und ich ganz nackt, und als er auf mir ist, wende ich mich Noah zu und bedeute ihm, ans Bett zu kommen. Er kommt und legt sich neben mich. Carlos und ich machen weiter, und irgendwann merke ich, dass Noah meine Hand hält. Ich sehe ihn an, und er hat feuchte Augen. Er streichelt meine Hand, meinen Arm, und sagt:
Es ist schon gut, mach dir keine Gedanken, es ist gut.
Seine Worte, seine kosende Hand, Carlos auf mir, das Crack und der Wodka, die mich durchtosen – Scham, Lust, Sorge und Zustimmung prallen aufeinander, und das denkbar Schlimmste erscheint nicht mehr so schlimm. Mit das Schrecklichste, was ich mir vorstellen kann – Sex im Drogenrausch vor Noahs Augen – ist zu etwas Menschlichem geworden, einem Schmerz, der sich lindern lässt, einer Grässlichkeit, die man mitansehen und vergeben kann.
Du bist okay
, versichert mir Noah mit seiner sanften Stimme und seinem zärtlichen Streicheln, und eine ganze Weile bin ich es dann auch.
Schließlich geht Carlos, und Noah und ich setzen uns einander gegenüber ans Fenster. Er sagt mir, ich solle mich für das Geschehene nicht schämen, nicht nur ich hätte in unserer Beziehung Mist gebaut, sondern auch er. Er sagt mir auch, wie, aber ich glaube ihm nicht. Was er darüber erzählt, tue ich als Versuch, mich zu trösten, ab.
Ich sage Noah, dass er gehen muss, und verspreche, ihn später anzurufen. Aber ich rufe nicht an. Ich packe meine Sachen, melde mich ab und gehe in ein anderes Hotel. Noahs Besuch werde ich lange vergessen. Er ist aus dem Sinn. Und als mir dann doch wieder einfällt, was ich ihm da zugemutet habe, schäme ich mich bis in die Haarspitzen. Noch später kann ich schließlich die Scham beiseite lassen und sehe vor allem, dass er in diesen paar Stunden bei mir geblieben ist, dass er mir dort im Hotelzimmer die Hand gehalten und mir gesagt hat, ich sei okay. Dass er mich liebt. Und ich erinnere mich, wie überzeugt ich in jener Nacht (und jeder vorhergehenden Nacht mit ihm) war, dass nach allem, was er wusste und mit mir erlebt und sich von mir hatte gefallen lassen, kein Mensch jemals so zu mir stehen würde wie er. Ich habe nie gefragt, warum.
Blackout
Es ist der Sommer 2003, durch eine Reihe außergewöhnlicher Fehlberechnungen und Missgeschicke auf der Versorgerseite steht New York ohne Strom da. Manhattan ist an einem der heißesten Tage des Jahres düster und tot. Ich gehe in einem Meer entgeisterter Büroangestellter, Shopper und Studenten die untere Fifth Avenue entlang. Mein Schädel brummt, und die Sonne blitzt zu hell aus den Fenstern der Stadt und dem Chrom feststeckender Autos. Ich habe in der Nacht zuvor nicht geschlafen. Bis zum Morgen habe ich Crack geraucht, und als ich nach Hause kam, war überall in der Wohnung das Licht an. Unterm Spiegel, auf der Theke im Vorraum, finde ich eine auf die Rückseite eines Kuverts gekritzelte Notiz:
3
Uhr
1
– das halt ich nicht aus
. Noah übernachtet neuerdings in Hotels, wenn ich nicht nach Hause komme. Meistens landet er im Sheraton an der Park Avenue South.
Nach ein paar unnützen, verkaterten Stunden in der Agentur geht der Strom weg, es wird dunkel, und ich mache mich auf den Heimweg. Als ich hinaus auf die überfüllte Straße komme, sage ich mir, dass es solche Tage nicht mehr geben wird. Keine durchwachten Nächte mehr, keine
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