Porträt eines Süchtigen als junger Mann
sofort kühlt und auch noch funktioniert, weil es an einen Generator angeschlossen ist. Der Laden selbst ist dunkel bis auf ein paar Kerzen, und die Frau des Inhabers steht an der verschlossenen Tür und passt auf, wen sie hereinlässt. Noah stellt eine Flasche Sancerre auf die Theke, und ich schnappe mir noch drei. Das tue ich bewusst vor dem Inhaber, damit Noah nichts dagegen sagen kann. Er schüttelt nur langsam den Kopf, und als er nach seiner Brieftasche greift, gebe ich ihm vier Zwanziger. Wir beladen uns mit Brathähnchen, Crackern und Käse und gehen um die Ecke zum Sherry.
Es ist vorwiegend ein Apartmenthaus, hat aber auch Hotelzimmer. In der Lobby wimmelt es von Hoteldienern, Managern, Pagen, und wir erklären, dass wir zu Noahs Großmutter bzw. Neeny wollen, wie sie von allen genannt wird. Man kennt uns und geleitet uns zur Treppe, die an den Absätzen mit Kerzen beleuchtet ist. Bevor ich hochgehe, schaue ich in den Wandspiegel in der Lobby, um mich präsentabel zu machen, den Kater und die Schlaflosigkeit zu kaschieren. Ich streiche mir die Haare zurecht, wische mir den Schweiß von Gesicht und Stirn, stecke mein Hemd in die Hose. Da ich zum Glück Visine dabeihabe, spritze ich es mir in beide blutunterlaufenen Augen und hoffe, dass Neeny sie und den Rest von mir in dem Halbdunkel nicht allzu deutlich sieht.
Im Treppenhaus ist es stickig und heiß, und das Licht tanzt vor der grün und goldenen Tapete. Dieses schimmernde Dunkel ist, als bewegten wir uns unter Wasser, in Zeitlupe, es gibt Sicherheit. Ich bin erschöpft, aber die gedämpften Tritte und die stickige Luft sind beruhigend. Wir schleppen Säcke voll Wein und Lebensmitteln durch einen vergoldeten Tunnel, dessen Licht auf unserer Haut tanzt. Die Angst von vorhin lässt nach, und als Noah sich auf dem Treppenabsatz umdreht, um zu sehen, ob ich noch hinter ihm bin, leuchten seine Augen vom Kerzenschein und wirken wieder freundlich.
Wir trinken und essen mit Neeny, berühren einander zärtlich am Arm, während wir Geschichten von unserem Urlaub in Paris, von Noahs Film und meinem Job zum Besten geben. Ich male mir aus, was Neeny wohl denken würde, wenn sie wüsste, dass ich die Nacht über in einer Sozialsiedlung auf der Lower East Crack geraucht habe, in einer Wohnung mit vier Riegeln und einer Querstange an der Tür. Was für ein langes Gesicht sie machen würde, wenn ihr das jemand erzählte. Ich trinke ein Glas nach dem anderen von dem Sancerre und ersticke die Erschöpfung und die schleichende Scham mit Wein. Ich sehe zu, wie Noah Neeny unterhält, ihr schmeichelt, sie nach dem Essen behutsam zu ihrem Schlafzimmer bringt und ihr dabei den Rücken streichelt. Das gefällt mir sehr an ihm, diese zarte Seite, wie er seine Angehörigen liebt und sich mit ihnen versteht.
Wir schlafen auf Sofas im Wohnzimmer und verabschieden uns am nächsten Morgen. Wir gehen zu Fuß nach Hause, und die Restaurants, Bodegas und Lebensmittelläden sind den ganzen Tag zu. Die Stadt kommt zum Stillstand. Überall sieht man betretene Gesichter vor versperrten Türen und improvisierten Schildern, auf denen GESCHLOSSEN steht. Später am Nachmittag gehen die Lichter wunderbarerweise wieder an. Fast augenblicklich vergisst man, wie hilflos man war. Das Leben kehrt zurück, und alles ist wie immer.
Am Abend essen wir im Knickerbocker, und es ist wieder das alte Lied. Bitten, Drohen, Schweigen, Tränen. Als ich zur Toilette gehe, muss ich an den Abend zuvor denken; wie ich nach dem Essen, benebelt von Sancerre und Schlafmangel, bei Neeny am Fenster gestanden und über die Südostecke des Central Parks zum Plaza Hotel geschaut habe, das im Dunkeln lag, dunkler war als alle anderen Gebäude. Ich muss daran denken, wie still die Stadt war – kein leises Summen von Klimaanlagen, keine vereinzelten Stimmen aus Fernsehern oder Radios. Wie wenige Autos auf den Straßen waren. Und wie verlassen, geduckt, gedemütigt das Plaza aussah. Die Stadt um es herum müde, ausgelaugt, als hätte sie ihre ehrgeizigen Bürger nun endlich aufgegeben und die Lust an dem ganzen Trubel verloren.
Zuflucht
Wohin?
, fragt mich der Taxifahrer, als wir nach Süden sausen, weg von Chelsea, weg vom Maritime, weg von meiner Familie. Lisas Taxi ist nirgends zu sehen, und schon ein paar Straßen weiter denke ich nicht mehr an sie oder die anderen. Ich denke an mein nächstes Ziel. Eine halbe Tüte und eine verbrannte Pfeife habe ich noch in der Tasche. Ich muss irgendwohin, wo ich
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