Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Chuzpe, kommt in die Endauswahl für den National Book Award.
Vor der Nominierung, vor dem Erscheinen, gibt es einen Lunch im La Grenouille, einem berühmten französischen Restaurant in den East 50s. Ich lade eine Bekannte, eine Beinahfreundin namens Jean, dazu ein. Jean, die niemals mittagessen geht. Jean, die ich mit fünfundzwanzig in der Lobby des Hotels Frankfurter Hof kennengelernt habe und die mich seit Jahren zu Bücherpartys und anderen Treffen in ihrem Penthouse mit Dachterrasse und Blick auf den East River einlädt. Jeans Partys sind immer lustig, weil sich dort schlagender Erfolg, Ruhm, Reichtum, politisches Engagement und ausgemacht Schräges die Hand reichen. Mal sind es Abendessen im kleinen Kreis, mal große Benefizessen. Aber all die Jahre ist immer Platz für mich. Und immer scheint es mir das letzte Mal zu sein. Jedes Mal habe ich das Gefühl, es ist soweit, jetzt werde ich etwas sagen, das ihr jede Illusion über mich nimmt und ihr zeigt, was für ein hirnloser Blender ich bin.
Also lade ich Jean zu dem Lunch im La Grenouille ein. Ich lade sie ein, weil ihr Buch über den fabelhaft steinigen Aufstieg und Fall einer WASP -Prinzessin ein Lieblingsbuch der Autorin vom Augenzwinkernden Wunder ist. Ich lade sie wegen ihres literarischen Glamours ein, weil sie der Autorin wichtig und außerdem auch mit ihrem legendären Lektor befreundet ist. Aus all diesen Gründen und weil sie mich schon so oft eingeladen hat und ich mich, wenn sie da ist, geliebt fühle, so seltsam und unwahrscheinlich sich das nun auch wieder anhört, bitte ich sie zu kommen. Unglaublicherweise sagt sie zu, und ich freue mich auf den besonderen Energieschub, den sie der Veranstaltung bringen wird, schließlich geht es bei solchen Essen einzig und allein darum, neue Leuchten der Literatur möglichst weit hinaus in die Umlaufbahn zu befördern. Monatelang wird dieser Lunch geplant. Ein großzügiger Freund der Autorin hat sich bereiterklärt, die Kosten zu tragen, und dank der vornehmen Adresse, der Beziehungen des legendären Lektors und der engagierten Bemühungen auf allen Seiten kommt ein ungemein erlesenes Aufgebot an Literaturgrößen zusammen.
Wieso schimmert manches märchenhaft am Horizont auf und anderes nicht? Dieser Lunch, seit Monaten im Terminkalender, funkelt mich in blauer Tinte jedes Mal an, wenn ich die Seite aufschlage, um links oder rechts noch etwas einzutragen. Das Blut steigt mir in den Kopf, wenn irgendetwas im Zusammenhang damit mir in den Sinn oder auf den Schreibtisch kommt, denn das Buch, Jean, La Grenouille und der legendäre Lektor bilden zusammengenommen eine leuchtende Verheißung von Glück.
Ich brauche einen Anzug, und in einem Anfall von Leichtsinn gehe ich zu Saks und kaufe mir einen schlanken, leicht schwarzblau gestreiften Anzug von Gucci für über 3 000 Dollar. Noch nie habe ich so viel Geld für ein Kleidungsstück ausgegeben. In der Kabine sehe ich einen Moment lang darin aus wie ein Fremder. Jemand, der zig Anzüge besitzt, zig dazu passende Paar Schuhe und Geld genug, um sich das alles leisten zu können. Wenn man sich im Spiegel nicht erkennt, ist das so, als ob man ein Foto von sich sieht, das jemand auf einer Party aufgenommen hat, und eifersüchtig auf diesen ungehemmten, attraktiven, überall hinpassenden Menschen schielt, der unerreichbar weit von einem selbst entfernt ist; man sieht diesen Himmelhund, denkt sich, dass er in seinem Leben noch nicht eine Sekunde verlegen, unsicher, ungeliebt war und verabscheut seine Lockerheit von Herzen. Und dann stellst du fest, du bist es selber. Unmöglich, das kann doch nicht sein. Wenn du aber siehst, dass er deine Sachen anhat und dass er, Herrgott ja, dasselbe große abstehende und dasselbe kleine anliegende Ohr hat, wenn du also siehst, dass du es bist, fragst du dich erst mal: Kann es sein, dass andere genauso auf dieses Du, das du nicht bist, hereinfallen? Das erschüttert dich einen Moment, und du kommst zu dem Schluss, dass der Mensch auf dem Foto im Grunde doch ein anderer ist. Oder vielmehr, dass es ihn nicht gibt. Die Fotoansicht und die Lüge, die sie hervorbringt, sind wie der Anzug. Wenn du also in einer Umkleidekabine stehst, in den Spiegel schaust und jemanden erblickst, der aussieht wie der Mensch auf dem Foto, kaufst du den Anzug, denn wenn es diesen Menschen schon nicht wirklich gibt, lässt sich doch wenigstens so tun, als gäbe es ihn.
Zwei Abende vor dem Lunch bin ich bei einem Abendessen. Ich
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