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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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etwas fiel mir sofort auf: die einzelne Zeile ganz unten auf der Seite. Sie lautete Zielhafen: Basra, Irak.
     
    Valsamis rollte sich auf die Seite und drückte sich das Kissen aufs Ohr. Im Mantel, der über dem Stuhl hing, klingelte sein Handy. Es war nicht das erste Mal an diesem Morgen. Sicher Morrow, dachte er und zählte mit, bis die Mailbox nach dem vierten Klingeln ansprang. Er hatte vorhin vergessen, den Ton auszuschalten, und die Vorstellung, aufzustehen und durchs Zimmer zu laufen, schreckte ihn ab.
    Es klingelte erneut. Morrow musste eingehängt und sofort wieder gewählt haben.
    Valsamis schob die Decke beiseite, tappte barfuß durchs Zimmer und nahm das Handy aus der Tasche. »Ja?«
    »Und?« Morrow klang anmaßend, geradezu vorwurfsvoll. Er ahnte wohl, dass etwas nicht stimmte.
    »Ali macht uns keine Schwierigkeiten mehr.«
    »Und Nicole Blake?«
    »Ich habe doch gesagt, ich kümmere mich um sie.« Schon wünschte er sich, er hätte gelogen.
    »Ich habe Leute in Lissabon – falls es Probleme geben sollte.« Das klang eher bedrohlich als beruhigend.
    »Wird es nicht.«
    Morrow schien zu zögern. »Eins noch, John.«
    Plötzlich wurde Valsamis übel. Er stieß das Fenster auf, weil er hoffte, den schalen Tabakgeruch loszuwerden, doch er schien aus den Wänden selbst zu kommen.
    »Wir sollten uns auch um die kleine Morais kümmern«, meinte Morrow mit gleichgültiger Stimme. »Und den alten Mann. Du weißt schon, keine unerledigten Dinge.«

Fünfzehn
    Nachdem wir in den Libanon zurückgekehrt waren, sah es mehrere Monate lang so aus, als sollte meine Mutter recht behalten. In jenem Herbst und Winter lag eine trügerische Harmonie über dem Land. Kein echter Friede, eher die allgemeine Übereinkunft, dass der Krieg irrsinnig sei. In Wahrheit hatten sich bei den Kämpfen tiefe Risse aufgetan, die nie mehr heilen würden. Und doch wollten wir alle daran glauben.
    In Beirut bemühte man sich geradezu hysterisch um Normalität, als wüssten die Menschen, dass das Schlimmste noch bevorstand. Es gab Konzerte und Dinnerpartys, sogar ganz banale Kriminalität: Überfälle, Einbrüche und Morde aus Leidenschaft. Als Fairuz im Januar im Piccadilly Theatre in Petra von den Brüdern Rahbani auftrat, besuchte mein Großvater mit uns allen die Premiere.
    Ich war damals acht, zu jung fürs Theater und viel zu jung, um zu verstehen, was diese Aufführung für eine Stadt bedeutete, die den Bürgerkrieg vergessen wollte. Dennoch erinnere ich mich an das Schauspiel jenes Abends, an die Wolken aus teuren Parfums, die Stoffe der Abendkleider, das Rascheln von Seide, an Pailletten und Pelze.
    Eine Göttin, hatte ich gedacht, als sich der Vorhang zum ersten Mal öffnete und Fairuz erschien. Das ganze Publikum hatte mit mir zusammen den Atem angehalten. In ihren Gewändern brach sich das Licht wie im Gefieder eines exotischen Vogels. Da war sie, die Tochter eines armen Druckers aus dem Zuqaq al-blat, die die Welt erobert hatte, die Frau, die mit unser aller Stimme sang.
    In der Pause reichte mir jemand mein erstes Glas Champagner, und ich schlenderte leicht benommen zwischen den dunklen Smokings umher. Meine Beine in den Strümpfen juckten, die Schuhe waren zu eng. Als die Lampen das Ende der Pause ankündigten, sah ich meine Großmutter auf mich zukommen.
    Sie war selbst im Alter noch eine schöne Frau mit dunkel glänzendem Haar und schlank wie ein Mädchen, da sie regelmäßig im Summerland Hotel Tennis spielte. An diesem Abend trug sie ein elegantes rotes Etuikleid, das sich an ihren Körper schmiegte.
    »Wo ist deine Mutter?« Sie beugte sich zu mir herunter.
    »Sie wollte auf die Toilette.«
    Sie nahm mich an die Hand und tauchte mitten in die Menge. Die Lampen blinkten ein zweites Mal, und die Leute kehrten zögernd in den Saal zurück. Selbst ich wusste, dass das Stück nicht gut enden würde. Im Auto hatte meine Mutter mir Petras Geschichte erzählt, dass sie sich weigert, ihr Land zu verraten, und man deswegen ihre Tochter tötet.
    Wir näherten uns dem Aufenthaltsraum für Damen, als meine Großmutter abrupt stehen blieb. »Geh schon mal hinein«, sagte sie und ließ meine Hand los.
    Ich versuchte, an ihr vorbeizuschauen, doch sie hatte sich schützend zwischen mich und das, was ich nicht sehen sollte, gestellt.
    »Geh an deinen Platz«, zischte sie, diesmal drohend.
    Ich drehte mich um, reckte aber im Gehen noch den Hals und sah meine Mutter, die sich angeregt mit einem Mann im eleganten Smoking unterhielt, der

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