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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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dieser Abend hatte etwas in ihm ausgelöst. Damals hatte Kanj es sich nicht eingestehen wollen, doch er hatte Angst gehabt, nicht so sehr vor dem Schmerz der Folter als vor seiner eigenen Schwäche, vor dem, was er sagen oder tun könnte. Das musste Khalid wohl gespürt haben, denn nach einer guten Stunde des Redens war er still geworden.
    »Du wirst überrascht sein«, sagte er und stocherte in der Asche, »wie viel ein Körper aushalten kann.«
    Damals hatte ihn das nicht sonderlich getröstet; Kanj hatte gar nicht begriffen, was Khalid damit meinte. Nun aber wusste er, dass sein Freund recht gehabt hatte, dass die Furcht vor den Schmerzen schlimmer war als der Schmerz selbst. Hatte man sich einmal hineingefügt, konnte man fast alles ertragen.
    Wachwechsel, dachte Kanj, als er die Schritte vor seiner Zelle und das Schaben des Schlüssels im Schloss hörte. Er holte tief Luft und entspannte sich, ließ alles Körperliche los. Dann ging die Tür auf, und er sah wieder den Mann, den vertrauten kahlen Kopf und die groben Hände. Mein bester Freund, dachte er, und mein schlimmster Feind. Bald, sagte er sich, bald würden sie die Amerikaner holen.
     
    Reingelegt, sagte ich mir, als ich zitternd zum Fluss hinunterging. Meine Finger waren taub, meine Hände mit Rahims Blut bedeckt. Sie hatten mich reingelegt, und zwar gründlich. Ich erinnerte mich, wie mein Vater gelacht hatte, nachdem er vor Jahren in einer Kneipe in Nizza jemanden übers Ohr gehauen hatte und mir einen verknitterten 50-Franc-Schein reichte. Die Leute sehen, was sie sehen wollen, das war seine goldene Regel.
    Damals war ich sechzehn, aus dem Haus meiner Tante in Bordeaux weggelaufen und demselben Mann verfallen, der vor so vielen Jahren meine Mutter verführt hatte.
    »Du kennst ihn nicht«, hatte Emilie zu mir gesagt, als ich sie endlich angerufen und ihr gesagt hatte, wo ich war. »Er benutzt dich nur.«
    Sie hatte recht gehabt, doch damals wollte ich um jeden Preis glauben, dass sie sich irrte.
    Es war hell, als ich das Wasser erreichte. Ein trüber, wenig einladender Morgen, Wolken wie Frostbeulen am aschgrauen Himmel. Da ich nichts anderes vorhatte und Rahims Worte mir noch im Ohr klangen, beschloss ich, noch einmal zu der alten Molkerei zu gehen. Rechnung hin oder her, immerhin konnte ich dort vorübergehend untertauchen und mir den nächsten Schritt überlegen. Die Fähre nach Cacilhas hatte gerade abgelegt und stampfte quer über den Fluss. Ihr Zwilling war schon vom gegenüberliegenden Ufer abgefahren und kämpfte sich kraftlos durch die Strömung.
    Ohne Jacke war es zu kalt. Die Wolken spuckten halbherzig ein paar Regentropfen aus, und ich musste mich dringend waschen. Also betrat ich ein Café am Hafen und ging direkt auf die Toilette. Ich wusch mir Hände und Gesicht und holte Rahims Pistole aus der Hüfttasche.
    Es war eine kleine Waffe, eine ungarische FEG SMC-918. Sowjetische Feuerkraft im Miniformat, fein säuberlich mit sechs Makarow-Patronen geladen. Ich legte meine Hand um den Griff, um mich mit Gewicht und Form vertraut zu machen. In meinem Beruf hatte ich kaum Schusswaffen benutzt, doch Ed Blake hatte mir vor Jahren in einem seltenen Anflug väterlicher Sorge eine imitierte Luger aus Tschechien zugesteckt.
    Ich hatte sie selten eingesetzt, meist bei zahlungsunwilligen Kunden, um diese einzuschüchtern. Ein paar Mal hatte sie mir allerdings das Leben gerettet, und ich freute mich fast, die kl eine FEG in der Hand zu halten. Ich prüfte die Sicherung, steckte die Pistole wieder ein und betrat den Gastraum.
    Um diese Zeit war viel los, die Fenster waren vom Dampf der Espressomaschinen und der menschlichen Körper beschlagen. Mit kribbelnden Händen und Füßen drängte ich mich an die Theke und bestellte Kaffee und ein Brötchen.
    Eigentlich hatte ich keinen Hunger, zwang mich aber zu essen. Draußen in der Kälte hatte ich nicht weiter nachgedacht, ging aber nun, da mein Verstand allmählich auftaute, noch einmal die Ereignisse des Morgens durch. So ungern ich es mir auch eingestand, war ich doch Valsamis’ Komplizin gewesen. Rahim war tot, und ich lebte, weil er mich gerettet hatte.
    Ich schüttelte eine Zigarette aus dem Päckchen und erinnerte mich, wie ich Valsamis zum ersten Mal durch das Fenster des weißen Twingo gesehen hatte. Ein Gauner, hatte ich damals gedacht und recht behalten. Fragte sich nur, wie gründlich man mich reingelegt hatte. Halb wollte ich immer noch glauben, dass Valsamis mir die Wahrheit über Rahim gesagt

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