Portugiesische Eröffnung
aufmerksam zuhörte. Er schien etwa so alt wie sie, war hoch gewachsen, mit gepflegtem dunklem Bart und dunklen Augen.
Meine Mutter lehnte mit einer Schulter an der Wand und hatte uns den Rücken zugekehrt. Beim Sprechen strich sie sich das Haar hinters Ohr, das machte sie immer, wenn sie nervös war. Ihr schwarzes Kleid ähnelte dem meiner Großmutter, und von hinten sahen sich die beiden so ähnlich, dass ein Außenstehender sie kaum hätte unterscheiden können.
»Geh!«, wiederholte meine Großmutter in scharfem Ton.
Meine Mutter und meine Großmutter kamen erst spät auf ihre Plätze zurück. Sie hatten eine ganze Szene verpasst. Als meine Mutter sich gesetzt hatte, lächelte sie mir zu. Ihr Gesicht wirkte offen, als wollte sie mir Zuversicht vermitteln, doch selbst im Dunkeln konnte ich erkennen, dass sie geweint hatte. Meine Großmutter saß steif neben ihr und blickte unverwandt geradeaus.
Am späten Vormittag verließ ich die Molkerei und kehrte zum Hafen zurück. Der trübe Tag wirkte noch trüber, der Himmel wechselte von Perlmutt zu Taubengrau. Der Wind hatte aufgefrischt und wehte in kalten Böen vom Atlantik herüber. Außerdem regnete es, ein Ende war nicht in Sicht. In der Wohnung hatte ich zum Glück einen abgetragenen Kolani gefunden, der wohl Rahim gehört hatte und den ich nun, da ich auf die Fähre wartete, gut gebrauchen konnte.
Ich fuhr zurück über den Fluss und ging ins Chiado, ein Internetcafé am Largo do Picadeiro, das ich am Vortag entdeckt hatte. Ich brauchte Hilfe wegen der Rechnung. Normalerweise wäre ich damit zu Eduardo Morais gegangen, doch da Graça und möglicherweise auch er selbst in die Sache verwickelt waren, traute ich niemandem mehr hier in Lissabon.
Meine größte Hoffnung war nun Sergej Velnychenko, mein Freund und Kollege bei Solomon. Er war ein erstklassiger Fälscher und kannte das unerfreuliche russische Gefängnissystem aus erster Hand. Laut einer Legende hatte Sergej sich in der russischen Mafia einen Namen gemacht, weil es ihm gelungen war, auf eigene Faust innerhalb der Gangsterwelt von Odessa und Moskau zu operieren. Es wäre auch alles wunderbar weitergelaufen, wenn er nicht den Fehler begangen hätte, mit der Frau eines Moskauer Gangsterbosses zu schlafen und sich dabei erwischen zu lassen. Der Mann hatte dafür gesorgt, dass Sergej die nächsten fünf Jahre in einem sibirischen Gefängnis verbrachte.
Wie die meisten freien Mitarbeiter von Solomon waren Sergej und ich uns nie persönlich begegnet. Angesichts der Bedrohung, der er sich in Russland gegenübersah, und der schlechten Beschäftigungsmöglichkeiten hatte er Solomons Angebot, unmittelbar nach der Entlassung bei ihnen anzufangen, gern angenommen und seinen Wohnsitz auf die British Virgin Islands verlegt. Manchen Menschen muss man gar nicht persönlich begegnen, um sie zu kennen. Ich hatte eine Menge Zeit online mit Sergej verbracht. Wenn es jemanden gab, dem ich ein Geheimnis anvertrauen konnte, war er es.
Ich sah auf die Uhr, suchte mir einen freien Computer im Café und loggte mich in meinen privaten Mail-Account ein. Auf Tortola war es noch früh, aber Sergej war kein Langschläfer. Brauche deine Meinung zu einem Dokument, tippte ich in der Hoffnung, den Russen schon so früh am Rechner zu erwischen. Wenn er die Absender-Adresse sah, würde er hoffentlich wissen, dass es eine private Anfrage war. Zehn Minuten, sagte ich mir, drückte auf »Senden« und sah zu, wie die Nachricht verschwand. Falls ich bis dahin keine Antwort erhalten hätte, würde ich später noch einmal nachsehen.
Ich lehnte mich zurück und schaute mich im Café um. Ein gemischtes Publikum aus Studenten, Künstlern und Rentnern, die alle eindringlich auf ihre Bildschirme starrten. Irgendwann würden Valsamis und seine Auftraggeber mich suchen, vermutlich waren sie schon dabei.
Auf der anderen Seite des Cafés begrüßte ein Mädchen mit dunklem Haar und langem Mantel einige Freundinnen an der Theke. Sie erinnerte mich an Graça Morais. Kein Wunder, dass Rahim auf sie verfallen war, sie war genau sein Typ. Jung, hübsch, tough. Dennoch fühlte ich mich gekränkt.
Ich sah auf die Uhr, das leere Postfach starrte mich herausfordernd an. Dann erschien eine Nachricht auf dem Bildschirm, die ebenfalls von einer privaten Mail-Adresse kam. Fernando76. Sergej Velnychenko war ABBA-Fan.
Seine Antwort war so kurz wie meine Frage: Schick’s rüber. Ich sehe, was ich tun kann.
Erwarte deine Antwort, schrieb ich zurück. Dann
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