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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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zum Handeln.
    Er hatte ihr ein Dutzend Mal in die Brust geschossen. Sie war tot, bevor sie zu Boden fiel. Einfach so, hatte Valsamis gedacht, als ihre Seele auf den schmalen Weg blutete. Als könne sie gar nicht schnell genug verschwinden, weg von ihm und diesem Ort.
    Wir sollten uns auch um die kleine Morais kümmern, hörte er Morrow sagen, wobei das »wir« wie ein Echo in seinem Kopf widerhallte. Und das von einem Mann, der im Botschaftsclub gemütlich seine Cocktails getrunken hatte, während Valsamis seinen Krieg ausfocht.
    Valsamis trocknete sich ab, wickelte sich das Handtuch um die Hüften und holte das Wegwerfhandy vom Nachttisch. Allmählich wurde die Sache hässlich. Nicole Blake war verschwunden, jetzt auch noch die kleine Morais. Kanj würde bald jemanden finden, der ihm zuhörte, hatte womöglich schon jemanden gefunden.
    Valsamis wählte Kosteckys Nummer und wartete. Nicole würde wieder ihren Mail-Account benutzen. Und wenn sie das tat, würde Valsamis es als Erster erfahren.

Achtzehn
    Meine Großmutter war unter der Kolonialherrschaft aufgewachsen und legte großen Wert auf ihre Stellung innerhalb der libanesischen Gesellschaft. Wie andere Christen ihrer Generation und Klasse war sie stolz auf ihr Französisch, also wurde bei uns zu Hause französisch gesprochen. Doch als wir an jenem Abend aus dem Theater nach Hause kamen, hörte ich durch die Wand meines Zimmers die Stimmen meiner Großmutter und meiner Mutter, die sich in der Küche heftig auf Arabisch stritten. Dann schlug eine Tür, dass das ganze Haus erbebte.
    Ich weiß nicht, wo meine Mutter in jener Nacht hinging, doch als ich morgens aufwachte, war sie wieder da. Sie trug ihr Haar noch hochgesteckt, doch ihr Gesicht war blass und ungeschminkt. Sie machte mir Frühstück, und wir aßen schweigend zusammen am kleinen Küchentisch. Ich hütete mich, Fragen zu stellen.
    Von meiner Großmutter war nichts zu sehen. Heute weiß ich, dass die beiden mir zuliebe eine Übereinkunft getroffen hatten, eine Art Waffenstillstand, der es ihnen erlaubte, unter einem Dach zu wohnen und einander dennoch zu ignorieren.
    Nach dem Frühstück holte meine Mutter ihre Geige, und wir gingen gemeinsam zu meiner Schule in der Rue Huvelin. Bevor sie sich von mir verabschiedete und den Bus zur American University nahm, blieb sie stehen und stellte den Geigenkasten neben sich.
    »Es hat nichts mit dir zu tun«, sagte sie und legte mir die Hand auf die Schulter. Sie beugte sich vor, bis sich unsere Gesichter fast berührten. »Das verstehst du doch, oder?«
    Ich nickte, merkte aber, dass sie mir nicht glaubte.
    »Der Mann, mit dem du mich gestern Abend im Theater gesehen hast, war ein alter Freund von mir. Wir haben vor langer Zeit zusammen studiert.« Sie zögerte einen Moment. »Er ist Schiit. Darum wollte deine Großmutter nicht, dass ich mit ihm spreche. Verstehst du, warum das falsch ist?«
    »Ja«, sagte ich, obwohl ich es damals unmöglich hatte verstehen können. Ich hatte nur gehört, dass der Krieg zwar zwischen uns Libanesen ausgetragen wurde, die wahren Schuldigen aber die Palästinenser seien.
    »Gut«, sagte meine Mutter. »Ich liebe dich.« Sie küsste mich auf den Kopf, nahm ihre Geige und ging die Rue Huvelin hinunter.
     
    Ich erwachte noch vor dem Morgengrauen, schlüpfte in Schuhe und Mantel und verließ die Wohnung. Graça und die Katze schliefen zusammen auf dem Bett. Ich war mir nicht sicher, wo ich anfangen sollte, arbeitete allein aber schneller und besser und hatte keine Lust, bei Graça Händchen zu halten. Sie hatte mir gesagt, was sie wusste; jetzt musste sie zusehen, wie sie zurechtkam.
    Ich blieb unter den Augen des Milchmädchens stehen und zündete mir eine Zigarette an, wobei ich die Flamme mit den Händen schützte. Graça hatte mir gestern Abend die Wahrheit gesagt, dessen war ich sicher, und vermutlich wusste sie auch nichts, das über ihren Auftrag hinausging.
    Fragte sich nur, weshalb Rahim sich mit al-Rashidi getroffen hatte.
    Ich warf das Streichholz weg und machte mich auf den Weg zum Fluss, wobei ich mir im Kopf mögliche Erklärungen zurechtlegte. Kein Wunder, dass Rahim bereit gewesen war, Graça zu helfen. Viele Menschen ließen sich von der Jugend blenden, vor allem wenn sie in Gestalt einer Graça Morais daherkam. Aber es steckte mehr dahinter, viel mehr, das keinen Sinn ergab. Beispielsweise das Bild von Rahim und al-Rashidi im Brasileira und die Tatsache, dass Rahim überhaupt in Lissabon geblieben war. Hätte er

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