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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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wieder Geige spielen.
    Mina hatte ihn für naiv gehalten, ihn sogar ausgelacht. »Es gibt viele Dinge, die schlimmer sind«, hatte sie gesagt, als sie in dem kleinen Café in der Rue Bliss saßen, wo sie nach den Seminaren gerne hingingen. »Dinge, die schlimmer sind als der Tod.« Kanj konnte sich an ihr ernstes Gesicht erinnern, als er sich über den Tisch gebeugt und sie geküsst hatte, um zu verbergen, dass er ihr nicht glaubte. Jetzt glaubte er ihr, hatte solche Dinge mit eigenen Augen gesehen, war Zeuge und Täter gewesen. Es war Jahre, wenn nicht Jahrzehnte her, dass er zuletzt Geige gespielt hatte. Sein letztes Instrument war im Sommer 1982, als die Israelis Beirut belagerten, mit seinem Elternhaus verbrannt.
    Die Zellentür wurde geöffnet, und Kanj zwang sich, die Augen aufzumachen. Im Flur stand ein Mann, eine schweigende Gestalt in heller Khakihose und frisch gebügeltem Baumwollhemd. Er nickte dem Mann zu, der ihn verhört hatte, worauf der Jordanier seinen Platz räumte. Ein Amerikaner, dachte Kanj und war so erleichtert, dass er mit den Tränen kämpfte.
    Als er sich wieder gefasst hatte, schaute er in die blauen Augen des Mannes. »Ich will mit Richard Morrow sprechen«, sagte Kanj.
     
    Im Dunkeln und nach einem halben Dutzend Drinks mochte der Nachtclub in der Rua do Sol ao Rato im Einwandererviertel Campo de Ourique halbwegs einladend aussehen, doch im grauen Morgenlicht konnte man sich kaum vorstellen, warum ihn jemand freiwillig betreten sollte. Die Wände waren mit afrikanischen Graffiti übersät, die schwarze Tür mit Urinspuren verschmiert. Jemand hatte am Abend vorher seine letzte Mahlzeit in den Rinnstein gekotzt: Huhn mit Reis und einen neonblauen Cocktail. Über der Tür stand in großer Schrift auf schwarzem Hintergrund ENCLAVE.
    »Vitor wohnt oben«, sagte Graça und wies auf eine Tür einige Meter links vom Eingang. »Zweiter Stock.«
    »Waren Sie schon mal dort?«
    Sie nickte.
    »Wie sieht die Wohnung aus?«
    »Eine Diele, rechts liegt das Wohnzimmer. Weiter bin ich nicht gekommen. Die Küche geht nach hinten hinaus. Dort befindet sich auch mindestens ein Schlafzimmer.«
    »Haben Sie eine Ahnung, mit wie vielen Leuten ich rechnen muss?«
    Graça schüttelte den Kopf. »Meist hat er mindestens ein Mädchen oben.«
    Ich schaute zum Fenster im zweiten Stock hinauf. Jemand hatte es von innen mit Pappe abgedunkelt, sodass man nicht sehen konnte, ob Licht brannte. Da es so früh war, würden wir Gomes vermutlich schlafend oder kurz vor dem Zubettgehen antreffen.
    »Na los«, sagte ich, öffnete die Tür und trat ein.
    Es stank nach abgestandenem Bier und beißend nach Pisse. Wir gingen in den zweiten Stock. Hinter der verschlossenen Wohnungstür dröhnte afrikanischer Technobeat.
    »Sie warten hier draußen«, befahl ich, holte die Waffe aus der Tasche und prüfte den Ladestreifen.
    Graça zuckte beim Anblick der Pistole zusammen. »Ich kann doch vorgehen. Mich kennt er wenigstens.«
    Ich schüttelte den Kopf und deutete auf eine Stelle neben dem Treppengeländer. »Sie warten genau da.« Ich legte die Hand mit der Pistole hinter den Rücken und klopfte.
    Die Musik verstummte, es raschelte und rumpelte in der Wohnung, dann machte sich jemand am Riegel zu schaffen. Die Tür schwang auf, und ich sah mich einer Afrikanerin in Lederrock und leuchtend gelbem Schlauchtop gegenüber. Sie war einen halben Kopf größer als ich, mit blau schimmernden Augenlidern und Lippen, die in einem schlammigen Purpurton geschminkt waren, der an jungen Wein erinnerte. Sie schaute auf mich herunter und wiegte sich schläfrig auf ihren Plateausohlen, benommen vom süßen Vergessen des Drogennebels.
    »Ich möchte zu Gomes«, sagte ich.
    Sie blinzelte einmal und nickte, bevor sie sich wie in Zeitlupe nach hinten wandte. »Vitor!«, rief sie mit träger Stimme. »Vitor! Baby!«
    Eine gereizte Männerstimme antwortete. »Was?«
    »Hier ist eine Frau«, rief sie zurück, bevor ihr Kopf nach vorn sank und sie sich an der Wand abstützen musste. Dann wankte sie davon.
    Man hörte einen kurzen, unfreundlichen Wortwechsel, bevor ein Mann in der Tür erschien. Er war kleiner, als ich erwartet hatte, blass, drahtig, voll nervöser Energie.
    »Vitor Gomes?«, fragte ich.
    Gomes nickte und machte vorsichtig einen Schritt auf mich zu. »Ja?«
    Ich lächelte. »Man hat mir gesagt, dass Sie der richtige Mann für eine bestimmte Art von Unterhaltung sind.«
    »Wer hat Ihnen das gesagt?«
    »Ein Freund«, meinte ich

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