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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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und wieder gewälzt hatte, mir fehlten definitiv wichtige Informationen.
    Graça tauchte in der Tür auf. Ihre Augen waren rot, als hätte sie geweint. »Hast du etwas gefunden?«
    Ich schüttelte den Kopf. Hier war nichts mehr zu finden. Auch nicht für mich.

Zwanzig
    John Valsamis hatte nicht in Pension gehen wollen. Mit gerade mal fünfzig fühlte er sich noch fit. Dabei war sein eigener Vater kaum älter gewesen, als er die Schmelzhütte verließ, und seinem Sohn damals uralt vorgekommen. Allerdings waren es auch andere Zeiten gewesen. Die harte Arbeit und die Sorge für eine große Familie waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen.
    Man hatte Valsamis die Entscheidung abgenommen. In den letzten acht Jahren in der Agency war er von den globalen Entwicklungen überholt worden, zusammen mit vielen anderen, die ihre Arbeit ein bisschen zu gut gemacht hatten. Männern und Frauen wie Valsamis, die durch Schicksal und eigene Effizienz überflüssig geworden waren.
    Immerhin war es Valsamis gelungen, in Würde zu gehen. Dass man ihn abschob, nahm er mit Anstand hin. Bei der Party, die Morrow zu seinem Ausstand gab, hatte er darauf geachtet, sich nicht in eine verbitterte Nostalgie hineinzutrinken wie viele seiner Kollegen. Bei der offiziellen Zeremonie im Auditorium der CIA-Zentrale hatte er zähneknirschend die Hände seiner Nachfolger geschüttelt, die sich bewundernd und doch leicht herablassend gaben. Es waren Leute in den Zwanzigern, die die CIA übernehmen sollten, die von tropischen Stränden und schönen Frauen erzählten, einem Paradies aus Gauguin-Gemälden und Club-Med-Anzeigen.
    Valsamis aber hatte andere Pläne. Fünf Tage nach seiner Entlassung hatte er seine spartanisch eingerichtete Wohnung geräumt und ein Flugzeug bestiegen. Diesmal als Tourist, der nicht in den sonnigen Süden, sondern nach Osten flog, in ein Land, das er seit Jahren wie seine Westentasche kannte und für das er so viel geopfert hatte, obwohl er niemals einen Fuß hineingesetzt hatte.
    Im Januar traf er in St. Petersburg ein und war, völlig untypisch für ihn, ziemlich nervös, als er dem gelangweilten Zollbeamten seinen nagelneuen Pass und das Touristenvisum aushändigte. Eine halbe Stunde später stand er mit einer kleinen Tasche zähneklappernd vor dem Flughafen, einen Wind im Rücken, wie er ihn seit seiner Kindheit nicht mehr gespürt hatte, den gleichen kalten, strafenden Wind, der über die Ebenen von Montana fegte.
    Am nächsten Morgen fuhr er mit der Straßenbahn zur Eremitage und schlenderte an den Meisterwerken vorbei, die zu betrachten ihm so lange versagt gewesen war. Tizians Danae, Leonardos Madonna Litta, Rembrandts Rückkehr des verlorenen Sohns. Am Nachmittag stieg er aufs Dach hinauf und blickte über die verwitterten Kupfergiebel des Palastes auf die gefrorene Newa und die verschneite Weite der Wassiljewski-Insel, die aufragenden Rostrasäulen und die ehemalige Börse, die an ein eisiges arktisches Parthenon erinnerte.
    Das neue Russland, hatte Valsamis gedacht, sein Russland, so kalt und kaputt es auch sein mochte. Und als er so allein auf dem windigen Dachbalkon stand und ganz St. Petersburg zu seinen Füßen sah, war er in Tränen ausgebrochen.
     
    Noch eine E-Mail, dachte Valsamis, als er sich an die verlassene Theke setzte, und nun erkundigte sich Nicole nach ihm.
    Diesmal waren sie zu langsam gewesen. Kosteckys Mann hatte eine gute halbe Stunde gebraucht, um ihn zu erreichen, und da war Nicole längst verschwunden. Aber sie würden bereit sein, wenn sie die Antwort des Russen abrief. Bis dahin konnte er nur abwarten.
    Valsamis bestellte einen Whisky Soda, den billigen, der ihm lieber war, weil ihn der Geschmack an etwas erinnerte.
    Früher Morgen in den Pintlers, Hank Williams im Radio des alten Lasters, sein Vater, der in gebrochenem Englisch mitsang. Draußen im Scheinwerferlicht immer mehr Schnee, Flocken groß wie eine Männerfaust, flaumig und mürbe, als wären die Wolken zerbrochen und rieselten vom Himmel herab. Drinnen im Ford das Rattern der uralten Heizung und zwischen ihnen auf dem Sitz die Flasche Ten High, deren Inhalt hin und her schwappte. Das Auto bot nur einen kargen Schutz vor der Wildnis, die sie umgab, der dunklen Unermesslichkeit von Schnee und Eis, dem Echo der Berge, das bis zur Grenze von Idaho und zurückhallte.
    Es war noch früh, doch auf der Tanzfläche bewegten sich zwei junge Männer in ekstatischem Gleichmaß. Sie hatten die Hemden ausgezogen, ihre nackte Haut schimmerte im

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