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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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Graça.
    Die Augen des Mädchens waren ganz glasig vor Angst. »Du kommst mit«, sagte ich und ergriff sie am Arm.
     
    Im hinteren Bereich des Cafés befanden sich fünf lange Reihen mit Tischen und Bildschirmen. Die meisten Gäste hatten sich aus Neugier in der Nähe der Theke versammelt, einige wenige hockten noch vor ihren Computern oder waren unter den Tischen in Deckung gegangen.
    Nichts erregt so viel Aufmerksamkeit wie eine Waffe, und Valsamis’ Ruger verschaffte ihm gehörigen Respekt. Zufrieden registrierte er das betäubte Schweigen, das nur von den Schluchzern des Mädchens unterbrochen wurde. Als er die zweite Tischreihe erreichte, verstummte sogar dieses Geräusch. Ein Laut hinter ihm an der Eingangstür. Er fuhr herum und entdeckte drei Gestalten, die in die Nacht abtauchten. Drei Helden, dachte er, als er die Jungen verschwinden sah. Jetzt aber schnell.
    Er betrachtete die geduckten Gestalten auf dem Boden. Ein junger Mann mit pechschwarzem Haar. Ein blondes Mädchen in dunklem Samtcape, das zwei lange Fangzähne auf seine eigenen gesteckt hatte. Dann, ganz am Ende der letzten Reihe, entdeckte er kurzes braunes Haar, einen langen schlanken Rücken, Knie, die eng an die Brust gezogen waren, das Gesicht dazwischen vergraben.
    Valsamis ging um die Tische herum und trat hinter die Frau. Sie weinte, aber nicht laut wie das Mädchen von der Theke, sondern ganz leise. Ihr Körper wurde von Angst geschüttelt.
    »Steh auf«, sagte Valsamis und drückte ihr den Lauf der Waffe in den Nacken. »Steh sofort auf.«
    »Bitte«, flüsterte sie und richtete sich langsam auf. Es war nicht Nicole, sie sah ihr nicht einmal ähnlich. »Bitte«, wiederholte sie, doch Valsamis hatte sich schon abgewandt. Dann entdeckte er die Treppe, die zu den Toiletten hinunterführte.
    Keine von uns sagte etwas. Dann und wann hörte ich, wie das Mädchen ein Schluchzen unterdrückte, wenn Ratten oder Schaben vorbeihuschten. Doch meist war es ganz still, sodass ich nur mein eigenes Herz pochen hörte und das Blut, das mir in den Ohren rauschte.
    Graça ging vor, und wir tasteten uns hinter ihr an der Wand entlang, berührten mit den Fingerspitzen alte Leitungen und Steine, stolperten über Hindernisse, deren tatsächliche Form wir nur erahnen konnten, lose Steine und Lumpenhaufen und Metallteile, die unter unseren Schuhen knirschten. Schlimmeres, das wir uns lieber gar nicht ausmalen wollten. Die Reste von dreitausend Jahren Angst und Besatzung. Römer und Westgoten, Mauren und Spanier. Später dann die Ermordung von Don Carlos und der Aufstieg Salazars. Jahrhunderte der Belagerung, Pest und Inquisition. Die ganze gewaltsame Geschichte eines Kontinents, eingefangen in Tausenden von Geistern, den flüchtenden Seelen, die sich um uns drängten.
    Es war nicht sehr weit bis zum Largo Trindade Coelho, etwa fünf Minuten, wenn man die Straßen nahm. Mehr als eine halbe Stunde konnten wir auch nicht gebraucht haben, doch es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Gegen Ende machte sich ein ekelhafter Gestank breit, der unverkennbare Geruch des Todes, und mir wurde beinahe übel. Dann weitete sich der Gang, und ich konnte den Regen riechen.
    Graça stolperte und fing sich wieder. »Treppe«, warnte sie mich von oben.
    Mein Fuß ertastete die erste Stufe, dann die zweite, und ich erkannte Graças Schatten über mir. Kopf und Schultern zeichneten sich vor dem Nachthimmel ab.
    Nicole war hier gewesen, dachte Valsamis und betrachtete den Raum vor Toiletten und Wandschrank. Keine Fenster, kein Ausweg. Er wollte wieder die Treppe hinaufgehen, hielt aber inne. Er hätte sie erwischen müssen, und doch war sie verschwunden.
    Valsamis trat erneut vor den Wandschrank und ließ seinen Blick durch die winzige Kammer wandern, über die vollgestopften Regale, den etwas schiefen Kartonstapel. Nichts, sagte er sich. Oder doch? Plötzlich erstarrte er. Irgendwo in der Ferne erklangen Sirenen, die näher kamen.
    Nein, sagte er sich, hier gab es nichts zu sehen, es war eine Falle. Auch für ihn, wenn er hier blieb. Er warf noch einen Blick auf die Kartons und den dunklen Schatten, wo die Decke mit den Wänden verschmolz. Dann machte er kehrt und lief die Treppe hinauf, durch das Café und nach draußen auf die Rua Diário de Notícias.

Einundzwanzig
    Warmes Wasser, weißer Sand und ein so blauer Himmel, dass ich am liebsten hineingetaucht wäre. Mein erster Bikini, zwei kanariengelbe Stückchen Stoff, die mir meine Tante aus Frankreich geschickt hatte. Der

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