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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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Salzwassergeruch meiner Haut nach einem Tag am Strand. Das sind meine Erinnerungen an Jounieh. Meine Freunde kultivierten einen jugendlichen Zynismus, der einer Kombination aus Privilegiertheit und Kriegszeit entsprang. Dem Eindruck, dass alles billig und nichts von Bedeutung war.
    Unser Leben lief weiter wie in Beirut. Mein Großvater kämpfte um seine Firma, während meine Großmutter fest entschlossen war, die armseligen Überreste der Beiruter Gesellschaft am Leben zu erhalten. Beide glaubten, dass der Krieg bald zu Ende sein würde. Es gab Dinnerpartys und Damenlunches, poliertes Silber und Kristall und das gute Porzellan, das mit mir von Beirut hierher gereist war.
    Wenn möglich, besuchte uns meine Mutter an den Wochenenden, und dann fuhren wir mit dem téléphérique nach Harissa oder die Küste hinauf nach Byblos und picknickten am Strand. In den ersten Monaten hatten sie und mein Großvater oft Streit, doch als sich der Krieg immer weiter hinschleppte und klar wurde, dass meine Mutter nicht zu uns ziehen würde, gab er schließlich nach.
    Im Nahen Osten ist nichts einfach, vor allem nicht der Krieg, und der libanesische Bürgerkrieg bildete keine Ausnahme. Die Wurzeln des Konfliktes reichten weit über die Landesgrenzen hinaus ins benachbarte Syrien, nach Israel und noch weiter bis zu den westlichen Kolonialmächten, die den zerbrechlichen Traum eines vereinigten Libanon geschaffen hatten.
    Die Syrer, die eine christlich-israelische Allianz fürchteten, hatten sich praktisch von Beginn an eingemischt, während die Israelis, entsetzt über die Gefahr einer palästinensischen Bastion im Norden, den verdeckten Weg gewählt hatten. Nachdem ihr Angriff auf palästinensische Stützpunkte im südlichen Libanon im Frühjahr 1978 den Unmut des UN-Sicherheitsrates geweckt hatte, zogen sich die Israelis aus dem Libanon zurück. Zuvor jedoch hatten sie die proisraelische Südlibanesische Armee gegründet, die ihren Platz einnehmen sollte. Es war eine gut geführte Allianz, und in den ersten Jahren reichte die Verbindung zwischen SLA-Miliz und den Phalangisten im Norden, um die israelischen Interessen zu befriedigen. Im Frühjahr 1982 sollte sich das jedoch ändern, als die israelische Armee in den Libanon einmarschierte, durch das Bekaa-Tal nach Norden vordrang und schließlich Beirut erreichte.
    Selbst da blieb meine Mutter in der Stadt. Damals glaubten wir, der Gipfel des Grauens sei erreicht: die israelische Belagerung von West-Beirut und die Bombardierung, die über zwanzigtausend Tote forderte; die entsetzlichen Ereignisse in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila; die Ermordung des jungen Phalangisten-Führers Bachir Gemayel und das daraus entstehende Chaos.
    Erst sehr viel später sollte ich begreifen, was in jenen Jahren geschehen war. Damals fing ich nur Gesprächsfetzen bei Tisch auf und hörte Gemayels Stimme im Radio, während meine Großmutter und ihre Freundinnen im Wohnzimmer 41 spielten.
    Noch eine Krise im Süden. Ein weiteres Massaker der Palästinenser. Diese Menschen, diese Terroristen, die uns schon so viel genommen hatten und nun auch noch unser Land nehmen wollten, wenn wir sie nicht daran hinderten.
    Beirut war nur einundzwanzig Kilometer entfernt, doch hier in meinem Schlafzimmer in Jounieh mit seinen frischen Laken, den zitronengelben Wänden und den Postern, die jugendliche Sehnsüchte widerspiegelten, war der Krieg nur ein schwaches, lebloses Echo. Am deutlichsten erinnere ich mich daran, dass ich weder Angst noch Trauer empfand, sondern schamlosen Zorn. Ich hasste weder die Israelis noch die Palästinenser oder die Außenseiter, die unser Land als Geisel genommen hatten, sondern meine Mutter, weil sie sich entschlossen hatte zu bleiben, weil sie sich für ihn und gegen mich entschieden hatte.
    Inzwischen kannte ich seinen Namen, hatte ihn durch die Wände meines Zimmers gehört, als meine Großeltern mich schlafend glaubten. Sabri Kanj. Und die Stimme meiner Großmutter, die wütend flüsterte: Irgendwann ist sie tot, und das nur wegen dieses Mannes.
     
    »Woher wusste er, wo wir sind?«, wollte Graça wissen.
    Ich atmete langsam aus und schaute durch die schmierigen Fenster des Hafencafés, als die Fähre langsam über den Tejo zu uns herüberstampfte. Das schwarze Flusswasser war von weißen Gischtspitzen gekrönt.
    Ich schüttelte den Kopf und dachte an Sergejs Nachrichten, die mich dorthin gelockt hatten, und doch sagte mir mein Instinkt, dass der Russe mich nicht verraten, dass

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