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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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gewusst haben, dass es in den Monaten nach der israelischen Invasion Leute in der Bewegung gab, die der Meinung waren, man müsse unsere Sache vorantreiben.«
    Morrow nickte. Er wusste alles über die Spaltung innerhalb der Amal-Miliz, aus der die Hisbollah hervorgegangen war.
    »Im Sommer 1982«, fuhr Kanj fort, »kursierten Gerüchte, dass sich ein Amerikaner auf Veranlassung der Syrer mit einigen dieser Leute getroffen hatte.«
    »Ich habe die Gerüchte gehört«, gab Morrow zu, wobei sich seine rechte Hand unwillkürlich verkrampfte.
    »Damals haben wir nicht begriffen, was das bedeutete.« Kanj musste husten, wobei sich sein ganzer Körper verkrampfte. »Wir sind zu Valsamis gegangen«, erklärte er, als er sich wieder gefangen hatte. »Zwei Tage vor der Bombardierung der Botschaft sind wir zu Valsamis gegangen.« Er schaute Morrow an, ob dieser ihm folgen konnte. »Er wusste Bescheid«, sagte er nachdrücklich. »Verstehen Sie? Er kannte das Datum, sogar die Uhrzeit. Und dennoch hat er nichts unternommen.«
    Ja, ich verstehe, dachte Morrow. Valsamis war der Maulwurf, von dem Kanj gesprochen hatte. Er wollte ihm damit sagen, dass Valsamis als Amerikaner zur Hisbollah übergelaufen war. Dass Valsamis bei der Bombardierung der Botschaft seine Hand im Spiel gehabt hatte. Das ergab durchaus Sinn, da Valsamis das einzige Mitglied der Nahost-Abteilung war, das an jenem Tag die Sitzung verpasst hatte. Der einzige Überlebende.
    »Wer weiß das sonst noch?«
    Kanj schüttelte den Kopf. »In Beirut lebte eine alte Freundin von mir, eine Christin. Durch sie habe ich mit Valsamis kommuniziert. Sie wusste alles.«
    »Hatte sie auch einen Namen?«, wollte Morrow wissen.
    Kanj rutschte auf seinem Stuhl herum.
    Es war so lange her, und doch verspürte der Mann noch immer den Drang, sie zu schützen. Gewiss waren sie mehr als nur Freunde gewesen.
    »Mina LeClerc«, sagte Kanj schließlich.
    Der Name kam Morrow bekannt vor, obwohl er ihn nicht einordnen konnte. »Lebt sie noch in Beirut?«
    Kanj schüttelte den Kopf. »Sie wurde von einer Autobombe getötet. Zwei Tage nach dem Anschlag auf die Botschaft.«
    Nun verstand Morrow, weshalb Kanj ihn sehen wollte und was er vorhin gemeint hatte. Er war davon überzeugt, dass Valsamis Mina LeClerc getötet hatte, indem er den Anschlag mit der Autobombe arrangierte, um so seine eigene Rolle in der ganzen Sache zu vertuschen. Jahrelang hatte Kanj darauf gewartet, dass man Valsamis endlich zur Rechenschaft zog.
    Auf einmal empfand er tiefes Mitleid mit dem Mann, der so viel zu wissen glaubte. »Du bist also der Einzige, der das weiß.«
    Eine Sekunde verging, dann noch eine, die Stille schien wie eine Uhr zu ticken. Morrow hörte Kanj atmen, es klang pfeifend wie ein rostiger Blasebalg. Er hatte mit den Folgen der Folterungen zu kämpfen.
    Kanj blickte zu Morrow auf und schüttelte den Kopf. »Es gibt Briefe.«
     
    Du brauchst nur Allah zu beichten, hatte Sabri Kanjs Vater einmal gesagt. Damals war Kanj zwölf gewesen, ernsthaft, gläubig und nicht zufrieden mit dem Ratschlag seines Vaters. Er konnte sich nicht mehr erinnern, was er damals angestellt hatte, nur dass er eine konkrete Buße verlangt hatte, eine Demütigung oder Strafe, um seine Schuld zu tilgen. Sein Vater hatte sie ihm verweigert. Als sich nun die Tür hinter Richard Morrow schloss, verstand er zum ersten Mal, was sein Vater damit gemeint hatte. Er fühlte sich körperlich verändert, als hätte es ihn gereinigt, die Wahrheit auszusprechen.
    Kanj war nicht naiv. Er wusste, dass sein Schicksal besiegelt war. Er würde sterben, hier unten oder draußen in der Wüste. Sobald sie ihn nicht mehr brauchten, würden sie ihn ohne Umschweife töten.
    Doch er hatte getan, was er vor all den Jahren nicht zu tun gewagt hatte. Morrow kannte nun die Wahrheit über den Bombenanschlag, dass Valsamis die anderen betrogen und Mina getötet hatte, weil Kanj ihr alles erzählt hatte. Verräter wurden nicht geduldet. Nun endlich würde Valsamis dafür bezahlen.
    Zum ersten Mal, seit er im Jachthafen von Jounieh an Bord gegangen war, konnte er ohne Schuldgefühle an Mina denken. Er schloss die Augen und erinnerte sich an den letzten Morgen in Beirut. Sie hatten von Anfang an einen Treffpunkt für Notfälle vereinbart, ein verlassenes Gebäude an der Rue de Mazraa. Da Mina an der American University arbeitete, konnte sie ohne weiteres zu ihm nach West-Beirut kommen.
    Am Tag nach dem Bombenanschlag hatte Kanj sich noch vor Morgengrauen dorthin

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