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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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Küste entlangfuhren, vorbei an Banyuls-sur-Mer und Port-Vendres. Graça war in der Nacht durch die spanische Ebene gefahren und schlief noch, als ich von der Hauptstraße nach Collioure abbog.
    Es war ein vollkommener Frühlingstag, das klare Licht funkelte auf dem von weißer Gischt gekrönten saphirblauen Meer. Die Palmen am Ufer wiegten sich im Tanz wie Cabaret-Girls. Auf dem grauen Kiesstrand, an dem die Brandung keine Spuren hinterließ, lagen einige pastellfarbene Fischerboote träge in der Sonne.
    Das war das Frankreich der Touristen mit seinem künstlichen Charme, den Restaurants an der Promenade, die überteuerte Pizza anboten, und den Andenkenläden mit ihren billigen Matisse-Drucken. Selbst die Boote warteten nicht auf Fischer, sondern auf Fotografen.
    Als ich in eine der schmalen Gassen der Altstadt bog, regte sich Graça.
    »Wo sind wir?«, fragte sie und schaute durchs Fenster auf die unbekannte Umgebung.
    »In Collioure. Mein Vater hat hier ein Haus.«
    Ich bog in eine andere Gasse und hielt vor einem hellgrünen Gebäude mit einem verblichenen Schild, auf dem HOTEL DERAIN zu lesen stand.
    »Warte auf mich, es dauert nicht lange.«
    Graça nickte, und ich stieg aus.
    Es war fast zehn Jahre her, seit ich meinen Vater zuletzt besucht hatte. Sechs davon hatte ich in Marseille verbracht und vier in den Bergen, doch das Hotel schien völlig unverändert. Selbst die Blumentöpfe neben der Tür mit ihren verwelkten Geranien, einer von Eds erfolglosen Versuchen zur Verschönerung des Hauses, sahen genauso trostlos aus wie beim letzten Mal.
    Ein Schild an der Tür verkündete in fünf Sprachen, das es hier saubere Zimmer mit Blick auf den Hafen gebe. Einer der Tricks meines Vaters, denn bei meinem letzten Besuch waren die Zimmer schmutzig gewesen, und die Sicht aufs Wasser wurde seit Jahrhunderten von den angrenzenden Häusern verstellt. »Das Meer ist da drüben«, pflegte er zu sagen, wenn sich tatsächlich jemand zu beschweren wagte. »Hinter dem Dach.«
    Hinter der Rezeption stand eine fette Katalonierin mit Transvestiten-Make-up und schütterem Haar, das in einem Aubergineton gefärbt war. Sie blickte mich stirnrunzelnd an und hob die schief nachgezogenen Augenbrauen.
    »Ich möchte zu Ed.«
    Sie schürzte die Lippen, und ich konnte die winzigen Fältchen sehen, in denen ihr roter Lippenstift verlaufen war. Die Kopfhaut unter den gefärbten Löckchen schimmerte weiß.
    »Was wollen Sie von ihm?«, fragte sie verächtlich.
    »Ich bin seine Tochter.«
    Ich hätte nie geglaubt, die Frau und mein Vater könnten ein Paar sein, doch ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass genau dies der Fall war und er seine Tochter nie erwähnt hatte. Wortlos stand sie auf und verschwand durch die Tür hinter dem Schreibtisch, die in Eds Wohnung führte.
    Zunächst war es still, dann hörte man einen Streit. Die Stimmen waren nicht zu verstehen, aber eindeutig wütend. Dann erschien mein Vater in der Tür.
    Er hatte sich kaum verändert, denn er war frühzeitig gealtert und irgendwann stehengeblieben, ähnlich wie Valsamis. Er schaute mich lächelnd an, als hätte er mich erwartet, als wäre ich nicht zehn Jahre fort gewesen.
    »Nie!« Er trat vor, um mich zu begrüßen, doch ich wich instinktiv zurück.
    »Ich muss mit dir reden.«
    Er hob abwehrend die Arme. »Was ist denn los?«
    Wieder einmal versuchte ich herauszufinden, was meiner Mutter an ihm gefallen hatte. Er verströmte noch immer einen schäbigen Charme und erinnerte mich irgendwie an einen Stadtstreicher, in dem man Spuren seiner eigenen Menschlichkeit entdeckt.
    »Ich brauche Geld«, erklärte ich.
    Er zuckte nicht einmal zusammen, sondern lächelte unbeirrt weiter. Dieses Lächeln hatte er schon tausendmal eingesetzt. »Was immer du möchtest, Schätzchen.« Er nahm eine Geldklammer aus der Tasche und wollte sie öffnen.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, richtiges Geld. Ich muss eine Weile verschwinden.«
    Es ging mir nicht nur um Geld, obwohl Graça und ich es gut gebrauchen konnten. Dies war auch die letzte Gelegenheit für meinen Vater, sein Handeln wiedergutzumachen, und ich überreichte ihm meine Bitte wie ein Geschenk.
    »Natürlich«, sagte er und wurde plötzlich ernst. »Ich sehe zu, was ich tun kann. Ich brauche ein oder zwei Tage, um diese Art von Geld zu besorgen. Du kannst solange hier bleiben.«
    Ich schüttelte erneut den Kopf. »Ich muss nach Hause, ein paar Sachen holen.« Wo dieses Zuhause lag, erwähnte ich nicht. Er wusste es wohl ohnehin und

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