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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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begeben. Am Museumsübergang hatte es ein Scharmützel gegeben, und Mina musste an der Grünen Linie warten. Sie kam erst gegen Mittag, als er schon beinahe aufgegeben hatte. Sie war erhitzt, ihr Haar rutschte aus dem schwarzen Tuch, das sie bei ihren Treffen immer trag. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, spürte Kanj, dass sie sich fürchtete. Ihnen war klar, dass Valsamis dem Bombenanschlag nicht zufällig entgangen war und auch, dass er niemals vorgehabt hatte, ihre Informationen weiterzuleiten. Beide wussten, in welcher Gefahr sie schwebten.
    Mina war am Morgen aus Jounieh hergekommen, wo ihre Eltern wohnten. Sie gehe weg, erklärte sie. Die ganze Familie werde am nächsten Abend auf einem der Schiffe ihres Vaters nach Frankreich fahren.
    Das Gebäude, in dem sie sich befanden, war früher ein Wohnhaus gewesen. Während Mina erzählte, bemerkte Kanj ein kaputtes Sofa, das halb unter Trümmern begraben lag. Daneben stand schief, auf drei zerbrochenen Beinen, ein Kindertisch mit einem kleinen Stuhl. Zum ersten Mal erkannte Kanj ganz deutlich, wie pervers dieser Krieg war. Er dachte an Petra und den Abend im Piccadilly, als Fairuz über der Leiche ihres Kindes geweint hatte. Sie konnten es sich nicht leisten, nach irgendeiner Moral hinter dem Krieg zu suchen.
    »Du wirst abgeholt«, sagte Mina. »An der Grünen Linie in der Rue Said Khadige, vor Sonnenaufgang. Sie bringen dich zum Jachthafen von Jounieh. Am Nachmittag geht ein Frachter nach Zypern, mein Vater hat alles arrangiert.«
    Etwas in Kanj sträubte sich. »Aber dein Vater hasst mich.« Mina schüttelte den Kopf. Das Leben war nicht so einfach. Sie legte ihre Finger auf sein Gesicht, und er spürte, wie ihre Hand zitterte. »Du kannst nicht hierbleiben.« Auch damit hatte sie recht gehabt.
     
    »Wir fahren«, sagte Morrow zu Fairweather. »Warten Sie im Wagen auf mich.«
    Ein gekränkter Ausdruck huschte über das Gesicht des jungen Mannes. Er stieß die Hände in die Taschen und schmollte wie ein beleidigter Teenager, machte kehrt und ging davon.
    Morrow wartete, bis er außer Hörweite war, und sagte mit leiser Stimme zu dem Jordanier: »Sie werden nichts mehr aus ihm herausbekommen.« Dabei deutete er auf Kanjs Zellentür.
    Der Jordanier nickte nur. Er wusste, wie so etwas ablief, und hatte nur auf die Erlaubnis gewartet, wenngleich er nicht gern Befehle entgegennahm.
    Er grinste Morrow höhnisch an. »Wie Sie wünschen, Sir«, entgegnete er mit beißendem Spott.

Dreiundzwanzig
    Unsere Entscheidung, den Libanon zu verlassen, fiel überstürzt. An einem Montagnachmittag im April kam ich aus der Schule und fand meine Mutter und meine Großeltern in der Küche unserer Villa vor. Meine Mutter war am Wochenende bei uns gewesen und erst am Vorabend nach Beirut zurückgekehrt. Als ich sie nun dort sitzen sah, wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmte.
    Im Radio war Voice of Lebanon eingeschaltet, und ich konnte das vertraute Geplapper des Sprechers hören, die ausdruckslose Stimme der Tragödie, die unser Leben wie eine Hintergrundmusik begleitete. Die Nachricht an jenem Nachmittag klang zuerst nicht ungewöhnlich: eine Explosion in Beirat, eine Autobombe. Diesmal war jedoch die amerikanische Botschaft Ziel des Anschlags gewesen.
    »Was ist los?« Ich legte meine Schulbücher auf die Arbeitsplatte.
    Lange Zeit sagte keiner etwas, bis meine Großmutter schließlich aufblickte. »Pack deine Sachen.«
    Ich schaute meine Mutter fragend an, suchte nach einem festen Anker inmitten des Wahnsinns, der alle erfasst zu haben schien, doch sie nickte zustimmend. »Tu, was deine Großmutter sagt.«
    Meine Großmutter schien zu wissen, dass sie Beirut nie wiedersehen würde. Diesmal packte sie für ein dauerhaftes Exil, die Möbel kamen in gepolsterte Kisten, Silber und Porzellan wurden sorgfältig eingewickelt. Am nächsten Morgen fuhr mich meine Großmutter zur Schule, damit ich mich von meinen Freundinnen verabschieden konnte. Als wir zurückkamen, stand meine Mutter mit den Schlüsseln in der Hand in der Einfahrt.
    »Ich muss zurück in die Stadt«, sagte sie, als wir ausstiegen.
    Meine Großmutter schüttelte den Kopf, doch meine Mutter blieb stur. »Ich bin bis Mittag zurück«, versprach sie.
    Sie kam zu mir, nahm mich in die Arme und küsste mich auf den Kopf. »Keine Sorge«, sagte sie und lächelte strahlend und hoffnungsvoll. Das war die größte Lüge von allen.
     
    Es war Mittag, als wir die französische Grenze erreichten und die letzten Kilometer an der

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