Portugiesische Eröffnung
eigenen eingeschlossen.
Ein Junge trat aus einem Hauseingang, ihre Blicke begegneten sich flüchtig. Der Junge trug keine Mütze, und seine schmale Gestalt versank in den Falten eines dicken Wollmantels. Eines warmen Mantels, den ihm sicher eine Mutter oder Großmutter gekauft hatte.
Der junge Mann rauchte. In der kalten Luft blieb der Tabakgeruch hängen, und der Rauch kräuselte sich wie ein Trauerschleier um sein Gesicht. Er sah aus, als wäre ihm nicht gut. Er brauchte irgendetwas, vermutlich genau das, was ihn an diesen Ort geführt hatte.
Valsamis ging langsamer, näherte sich dem Jungen. Er überlegte, was er zu ihm sagen könnte. Das war immer das Schwerste, der bemühte Versuch, sich zu unterhalten, die verhaltenen Gesten. Wozu das Ganze? Sie wussten beide, warum sie hier waren.
Der Junge lächelte verlegen, und im selben Augenblick klingelte Valsamis’ Handy, worauf ihn eine tiefe Erleichterung durchflutete. Er wandte sich ab, beschleunigte seine Schritte und drückte das Telefon ans Ohr, als könnte es ihm Absolution verschaffen.
Kostecky, dachte er, konnte die Stimme am anderen Ende aber nicht auf Anhieb einordnen.
»Ich sollte Sie anrufen«, sagte der Mann. Ein zögerndes Schweigen, als wartete er, dass bei Valsamis der Groschen fiel.
»Ist sie da?«
»Sie ist vor etwa zehn Minuten gefahren«, erwiderte Ed Blake ruhig. Er klang nicht wie ein Mann, der gerade seine eigene Tochter ans Messer lieferte. »Sie ist auf dem Weg nach Hause, will aber wieder herkommen. Sie hat nach Geld gefragt, und ich habe sie hingehalten.«
»Hat sie gesagt, wann sie wiederkommt?«
»Morgen, nehme ich an. Sie wusste es nicht genau.«
Valsamis überlegte. »War sie allein?«
»Es saß noch eine andere Frau im Auto. Sie ist nicht hereingekommen, aber ich habe sie trotzdem gesehen. Jung, hübsch, langes dunkles Haar.«
Graça Morais. Und beide waren unterwegs nach Paziols.
»Ist das gut?«, erkundigte sich Ed. »Ich habe angerufen, wie Sie gesagt haben.«
»Ja, das ist gut«, versicherte Valsamis. Selbst er war betroffen von der Kälte des Mannes, der Selbstverständlichkeit, mit der er Nicole verraten hatte. »Sie bekommen Ihr Geld.«
Kanj hatte es nicht über sich gebracht, in die Rue Said Khadige zu gehen. In jener letzten Nacht in Beirut hatte er wachgelegen und seine Möglichkeiten überdacht. Er wusste genau, was es bedeutete, wenn er hierblieb, konnte aber unmöglich die Hilfe eines Mannes in Anspruch nehmen, dessen Stolz und Zorn seit Jahren zwischen ihm und Mina standen. Von seinem Fenster mit Blick über die zerstörten Slums im Süden der Stadt hatte Kanj noch gesehen, wie der Morgen graute, bevor er irgendwann einschlief.
Am späten Vormittag klopfte es. Sicher Khalid oder ein anderer von der Amal, dachte er. Sie wollten nach ihm sehen, weil er sich, ganz untypisch, seit mehreren Tagen nicht gemeldet hatte. Doch als er die Tür öffnete, stand Mina im Flur.
Sie war schon mehrfach in der Wohnung gewesen, am Anfang, vor Valsamis, als sie einfach nur eine Affäre gehabt hatten, doch schon da war ihnen bewusst gewesen, wie gefährlich ihre Besuche waren. Nun schien es geradezu undenkbar, dass sie es allein in diese Gegend geschafft hatte.
»Meine Freunde haben angerufen und mir gesagt, dass du nicht gekommen bist«, sagte sie, worauf Kanj sie in die Wohnung zog und die Tür schloss.
»Ich kann nicht«, sagte er, doch sie hörte ihm gar nicht zu.
»Du kannst noch immer den Frachter erreichen«, beharrte sie. »Er fährt erst um drei. Nimm unser altes Fischerboot, es liegt im Jachtclub. Die Patxi. Du wirst es ohne weiteres finden. Um diese Zeit dürfte niemand dort sein. Der Schlüssel liegt unter dem Sitz des Kapitäns.«
Kanj schüttelte den Kopf, doch sie blieb hartnäckig. »Begreifst du denn nicht? Sie sind nicht gekommen, um uns zu helfen. Das ist nicht ihr Land.«
Natürlich hatte sie recht. Das wussten mittlerweile alle, und nicht erst seit gestern. Die Amerikaner würden abziehen, sobald es ihnen im Libanon nicht mehr passte, genau wie die Russen und die Syrer und die Israelis, genau wie zuvor die Franzosen. Doch Kanj konnte nicht akzeptieren, dass alle Opfer der letzten Jahre, Tod und Verrat, vergeblich gewesen sein sollten.
Mina wich seinem Blick aus. »Ich habe Angst, Sabri. Ich habe meiner Schwester geschrieben. Falls etwas passiert. Ich habe ihr alles gesagt.«
Kanj wollte lügen, ihr versichern, dass nichts geschehen werde, konnte es aber nicht. Er streckte die Hand aus, doch sie
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