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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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mangelt, ist Ihnen gewiss bewusst, dass jeder Versuch, Ihre Truppen gegen die Verteidigungsarmee ins Feld zu führen, Selbstmord wäre.
    Andy Sproul hatte von Beginn an prophezeit, dass die Israelis nicht wie versprochen am Litani-Fluss haltmachen, sondern nach Norden ins Herz des Landes und bis nach Beirut vorstoßen würden. Die Leute in der Botschaft, Valsamis eingeschlossen, hatten Sproul bestenfalls für ahnungslos gehalten; eine derartige Aggression seitens Israels war undenkbar und käme einem politischen Selbstmord gleich.
    Einer der Jets warf seine Ladung ab, und die ganze Stadt erbebte. Es klang, als würde jemand gewaltsam Stoff zerreißen, dann erblühte ein riesiger Ball aus Flammen und Rauch aus den Überresten des Sabra-Lagers.
    »Sieht aus, als hätten Sie recht gehabt«, konstatierte Valsamis.
    Sproul faltete die Broschüre fein säuberlich zusammen und steckte sie in die Tasche. Sein Gesicht zeigte keine Spur von Triumph.
     
    Valsamis drehte am Einstellknopf des Autoradios, hörte aber nur statisches Rauschen. Das ausgedörrte Land hinter ihm erstreckte sich in Wellen bis zum Horizont. Die Landstraße schnitt tief in Weizenfelder und Gebüsch. Die Gegend erinnerte ihn an Montana. Betäubende Stunden auf dem Highway 2, vorbei an Indianerreservaten und gigantischen Farmen. Kaputte Existenzen und das Schweigen des Radios, nur gelegentlich unterbrochen durch örtliche Erweckungssender, die Erlösung versprachen.
    Ein Schwall Popmusik drang blechern aus den Lautsprechern des Twingo, und Valsamis drehte weiter, in der Hoffnung, einen spanischen Nachrichtensender oder vielleicht sogar die BBC zu empfangen. Er wollte die Stimme in seinem Kopf übertönen.
    Wieder Musik, Flamenco und schlechter europäischer Pop. Dann plötzlich drang aus dem Funkbrei eine Männerstimme, die Nachrichten von RNE1. Valsamis hielt an und hörte zu.
    Der Sender brachte gerade einen Auszug aus der Rede des amerikanischen Außenministers vor dem UN-Sicherheitsrat. Valsamis konnte die Stimme von Colin Powell durch die des Dolmetschers hindurch hören: »Das Material, das ich Ihnen vorlegen werde, stammt aus den unterschiedlichsten Quellen.«
    Er klingt so selbstsicher, dachte Valsamis, so absolut zuversichtlich. »… Menschen, die ihr Leben riskiert haben, um der Welt zu enthüllen, was Saddam Hussein wirklich vorhat«, fuhr der Außenminister fort.
    Powell war gut, obwohl Valsamis wusste, dass es an seiner Naivität lag. Er betrog, ohne es selbst zu wissen, und wirkte deshalb so überzeugend.
    »Ich kann Ihnen nicht alles sagen, was wir wissen, aber das, was ich Ihnen mitteilen kann, erscheint in Verbindung mit dem, was wir alle im Laufe der Zeit erfahren haben, zutiefst beunruhigend.«
    Valsamis wollte das Radio leiser stellen, hielt aber in der Bewegung inne. Der Auszug aus der Rede war zu Ende, und eine spanische Kommentatorin äußerte ihre Kritik an der amerikanischen Außenpolitik.
    »Nehmen wir den heutigen Vorfall in Jordanien«, sagte die Frau in nahezu hysterischem Spanisch. Sie erwähnte etwas von Geheimhaltung, doch es war vor allem ihre nächste Frage, die Valsamis’ Aufmerksamkeit erregte. »Sollen wir den offiziellen Berichten Glauben schenken, nach denen Sabri Kanj getötet wurde, als er sich der Verhaftung entziehen wollte?« Er stellte das Radio lauter, doch die Frau war schon beim nächsten Punkt.
    Also war Kanj tot. Er wusste nicht genau, was das bedeutete. Falls er auf offene Ohren gestoßen war, ergab sein Tod wenig Sinn. Die Jordanier hätten ihn gewiss nicht ohne die Zustimmung der Amerikaner getötet. Die Amerikaner hätten ihn nicht getötet, ohne sich mit den Israelis zu beraten. So lief das bei Männern wie Kanj. Beirut hin oder her, lebend war er sehr viel nützlicher als tot.
    Valsamis gab Gas, warf einen Blick über die Schulter und bog wieder auf die Straße. Nein, irgendetwas ergab da ganz und gar keinen Sinn.
     
    Wir haben schon immer in einer Welt gelebt, die von der Frage der Identität besessen ist. Man denke nur an die Chroniken der Geschlechter Israels, an Moses, der die Stämme der Israeliten aufzählt, und an unsere Geschichte, die mit dem Blut all dieser Generationen geschrieben wurde. Erst waren es mündliche Überlieferungen, die uns bei der Erinnerung halfen. Später dann Papier und Wachs, versehen mit Siegeln, an denen man sich aber auch zu schaffen machen konnte. Dazu die Beweise des eigenen Körpers, Muttermale und Fingerabdrücke und Narben, Zeichen des Unbestreitbaren, Vorname

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