Portugiesische Eröffnung
und Klasse und Land und all jene anderen unveränderlichen Wahrheiten, die jedem von uns angeboren sind.
Und doch gab es schon immer Menschen, die sich selbst neu erfinden wollten, Flüchtlinge, Betrüger und Diebe. Menschen, die Zuflucht vor ihrer eigenen Existenz suchten. Und jene wie mich, die die Alchemie der Identität erlernt hatten.
Das Handwerk ist nicht einfach. Heutzutage besteht ein Individuum aus so vielen einzelnen Merkmalen, eine schwere Last. Papier und Äther, die zarten Spiralen des Genoms. Unser ganzes Selbst, zusammengefasst in einer einzigen Haarsträhne oder einem winzigen Zellklumpen auf einem Wattestäbchen. So vieles, das niemand verändern kann, weshalb ich gelernt habe, mich auf das Machbare zu konzentrieren.
Ich hatte nicht die Absicht, Graça oder mir eine völlig neue Identität zu verpassen. Ein derartiges Projekt hätte Wochen beansprucht, und ich wäre auf fremde Hilfe angewiesen. Nein, mir ging es darum, auf die Schnelle neue Papiere zu machen, einen Reisepass für jede von uns. Danach würde Graça auf sich selbst gestellt sein.
Ihr Pass war die leichtere Aufgabe. Vor einigen Monaten hatte ich mich mit dem neuen brasilianischen Pass beschäftigt, und man hatte mir mehrere Dokumente geschickt, die ich manipulieren sollte. Die meisten waren irreparabel beschädigt, doch einen konnte ich so weit herrichten, dass es für sie reichen würde.
Mein eigener Pass war etwas anderes. Ich hatte mehrere Alternativen im Schrank: Belgien, Schweiz und Kanada, die sicherlich funktioniert hätten. Doch leider konnte ich keinen davon benutzen.
Ich stand runde zwanzig Minuten herum und überlegte, statt zu arbeiten. Ich habe mein Leben lang nur wenige Beweise für meine Identität besessen und brachte es daher nicht über mich, die eine Sache aufzugeben, die meine Mutter für mich erkämpft hatte. Schließlich entschied ich mich für den blauen Umschlag. Den amerikanischen Pass.
Ich redete mir ein, es sei nur ein Dokument, obwohl das natürlich nicht stimmte. Ich entschied mich ganz bewusst – nicht nur für einen Namen und einen Geburtsort, sondern für eine Staatsangehörigkeit und alles, wofür sie stand.
Die Laminierung beider Pässe war intakt; ich musste sie zuerst entfernen, ohne das Papier darunter zu beschädigen. Jeder Fälscher hat seine eigene Methode, um Laminierungen zu entfernen, und ich habe immer eine Mischung von Kälte und Kleberentferner bevorzugt. Kälte bedeutete in diesem Fall ein oder zwei Stunden im Kühlschrank.
Danach ging ich mit der Digitalkamera ins Wohnzimmer. Im Fernsehen lief CNN, aber Graça war auf der Couch eingeschlafen.
Ich wollte gerade den Fernseher ausschalten, als mein Blick auf den Nachrichtenticker am unteren Rand des Bildschirms fiel. Die Information war enttäuschend knapp und verschwand, bevor ich sie richtig gelesen hatte. Es folgten Sportergebnisse und die Wettervorhersage, und ich zappte vergeblich durch die anderen Nachrichtensender. Schließlich schaltete ich wieder auf CNN und wartete, bis sich die Nachrichten wiederholten.
Zu viele Zufälle, dachte ich, als ich die Worte zum zweiten Mal las. SABRI KANJ, NUMMER VIER AUF DER INTERNATIONALEN LISTE GESUCHTER TERRORISTEN, WURDE WÄHREND EINER RAZZIA VON JORDANISCHEN SICHERHEITSKRÄFTEN GETÖTET.
Erst Valsamis und jetzt Kanj. Geister aus Beirut. Die Geister meiner Mutter. Von all den Menschen, die Valsamis hätte benutzen können, um Rahim zu finden, hatte er ausgerechnet mich gewählt. Hier ging es um mehr als die Rechnung.
Von dem Hügel drüben bei den Hernots erklang das tiefe, traurige Heulen eines Hundes. Lucifer, dachte ich, seine kehlige Stimme war unverkennbar. Meine Haut kribbelte. Instinktiv drehte ich mich zur gläsernen Terrassentür. Am Ende des Gartens bewegte sich ein schmaler Schatten durch die Schneewehen. Ein Baummarder oder Hermelin auf der Jagd nach Essbarem.
Alte Geschichten, dachte ich mir, während das Tier sich durch den Garten schnüffelte. Allmählich dämmerte es mir. Alte Geschichten, und dennoch war Valsamis zu mir gekommen.
Graça regte sich, hob den Kopf und blinzelte mich schläfrig an. »Was ist los?«
»Nichts«, sagte ich und deutete auf die Kamera. »Ich brauche ein Foto von dir.«
Morrow beugte sich im Sitz vor und schaute auf den Flickenteppich der Felder im Jordantal. Im Westen zeichneten sich die Befestigungen der israelischen Grenze wie eine hässliche Narbe am Flussufer ab, kilometerweit Stacheldraht, Elektrozäune und tiefe, staubige Wunden
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