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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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Geheimnis, das ihn umgab. Die Medina mit ihren geheimen Gassen und verborgenen Gärten, die Frauen, die hinter dunklen Schleiern dahinschwebten.
    Zehn Jahre später waren sie zum ersten Mal allein gewesen, nachdem Eduardo zu viel Wein getrunken und zeitig ins Bett gegangen war. Es passierte nicht sofort, doch als Rahim gehen wollte, legte er ihr die Hand auf den Arm, und sie verstand, dass es nur eine Frage der Zeit war.
    Zwei Monate später begegneten sie einander vor dem Café da Ponte an den Kaianlagen von Santo Amaro. Beide waren von Freunden mitgeschleppt worden und suchten nach einer Entschuldigung, um zeitig nach Hause zu fahren. Letztlich hatten sie gemeinsam den Zug genommen und waren in die Alfama gegangen, allerdings nicht zu Eduardo, sondern in Rahims Wohnung in der heruntergekommenen Gegend an der Westflanke des Hügels.
    Sie hatte ihm nie gesagt, dass es für sie das erste Mal gewesen war. Damals im dunklen Flur seiner Wohnung, als ihr die Beine versagten und ihre Hände so gezittert hatten, das Rahim sie beide ausziehen musste.
    Graça griff nach oben in das Nest einer Marans-Henne, und der Vogel flatterte bei der Berührung auf. Dann flog die Tür des Hühnerstalls auf, und die Angst nahm ihr den Atem.
     
    Ein einzelner Schrei, schrill und flüchtig, dann nichts mehr. Graça, sagte ich mir, legte den nächsten Brief ungelesen in den Karton und horchte ins Schweigen hinein. Im Garten, das vermutete ich jedenfalls, obwohl der Schrei durch die Dachbalken und die steinernen Mauern des Hauses gedämpft wurde.
    Ich schnappte mir Schuhkarton und Briefe und schaute durch die Klapptür, bevor ich vorsichtig hinunterkletterte. Das Haus steckte voller Geräusche – das lose Dielenbrett in der Nähe der Tür, die knarrenden Scharniere der Küchentür –, ansonsten war nichts zu hören.
    Mit der freien Hand zog ich die FEG aus der Gesäßtasche, schlüpfte in mein Büro und spähte aus dem Fenster in die Einfahrt. Die Außenbeleuchtung brannte, der Schnee war zertreten und schmutzig, wo die Spuren von der Küchentür aus in Richtung Garten und Hühnerstall verschwanden.
    Wie dumm. Ich verfluchte mich insgeheim, weil ich den Computer benutzt hatte. Vom Gästezimmer konnte ich Graças Schritte weiterverfolgen und entdeckte eine zweite Spur, die aus dem Wald herüberführte und vor der Hütte mit Graças Abdrücken verschmolz.
    Ich ging nach unten in die Küche, wobei ich das Licht hinter mir ausschaltete. Zwar würde Valsamis nun wissen, dass ich etwas gemerkt hatte; andererseits bot mir die Dunkelheit einen deutlichen Vorteil. Ich stellte den Karton mit den Briefen auf die Arbeitsplatte und schlich ins Wohnzimmer.
    Wenn ich an den alten Katharer-Festungen an der Straße von Perpignan nach Quillan vorbeifuhr, hatte ich mich oft gefragt, was die unglückseligen Bewohner wohl empfunden hatten, als die Soldaten des Papstes durchs Tal heranrückten. Es gab kaum Hoffnung auf Rettung, und diejenigen, die blieben, sahen dem sicheren Tod ins Auge. Und wer floh, wurde fast immer gefasst und als Ketzer verbrannt.
    Ich stand ganz allein da und schaute durch die gläserne Terrassentür in den Garten. Ich dachte an die Katharerinnen, die in steinernen Särgen in ihren Festungen lagen, und verspürte den verzweifelten Drang, davonzulaufen.
    Ganz ruhig, sagte ich mir und holte tief Luft. Spürte die Waffe in meiner Hand. Ich schob lautlos die Tür auf und trat nach draußen. Es schneite wieder. Die Flocken waren fein wie Mehl und legten sich auf meine nackten Arme und meine Haare, verschleierten die Wälder und das Tal und die schwachen Lichter der Stadt. Ich machte einen Schritt nach vorn und noch einen, tastete mich mit der linken Schulter am Haus entlang durch die Schneewehen.
    Als ich um die Ecke bog, sah ich die offene Tür des Hühnerstalls. Drinnen ein Licht. Meine Campinglaterne, dachte ich, die immer an der Hintertür hing. Graça musste sie mitgenommen haben, doch von ihr und Valsamis war nichts zu sehen. Ich hörte nur das leise Gackern der Hennen und das aufgeregte Krähen des Hahns.
    Dann erkannte ich durch den zarten Vorhang des Schnees zwei dunkle Gestalten, die wie betrunken zur Einfahrt wankten. Valsamis hatte den Arm um Graças Schulter gelegt, aber es war keine freundliche Geste. In der anderen Hand hielt er eine Waffe, deren Lauf durch den Schalldämpfer obszön vergrößert wurde. Die Mündung war in Graças Nacken gepresst.
    Ich drückte mich an die Hauswand, hob die FEG und zielte auf ihre Rücken. Ganz

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