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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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Moment, in dem sie den Umschlag befeuchtet und zugeklebt hatte und wir sie in der Einfahrt trafen, anders ent schieden. Sie war zu Kanj gefahren, daran hatte ich nie gezweifelt. Warum sie trotz ihrer Angst nach Beirut gefahren war, blieb eine offene Frage, da niemand mehr lebte, der sie beantworten konnte.
    Einen Moment lang sah ich sie vor mir, ein Lächeln erblühte auf ihrem Gesicht. Ich stellte mir vor, wie sie an der Küste entlangfuhr, wie die Meerluft durchs offene Fenster hereinwehte, neben ihr das Wasser, das sich bis zum Horizont erstreckte. Zwanzig Kilometer bis Beirut, zwanzig Kilometer, auf denen sie hätte umkehren und zurückfahren können. Doch sie hatte es nicht getan.
    Ich versuchte, mich auf das Rätsel zu konzentrieren, auf Valsamis, Kanj und meine Mutter, auf das, was sie über die Amerikaner und Syrer geschrieben hatte. Doch es gab noch andere, dunklere Fragen, die nach meiner Aufmerksamkeit verlangten.
    Was sollte ich ihr verzeihen?, fragte ich mich, als ich den Brief beiseitelegte und den nächsten aus dem Karton nahm.
     
     
    Beirut
    14. April 1983
     
     
    Emilie,
     
    heute fand eine umfassende Evakuierung in West-Beirut statt.
    Französische Soldaten hatten neben einem Wohnhaus in Hamra einen israelischen Blindgänger entdeckt. Ich habe ewig lang am Übergang gebraucht.
    Sabri war sehr durcheinander. Es heißt schon länger, man wolle die Amerikaner angreifen. Und dann, gerade gestern, hat er gehört, dass die Hisbollah zwei Märtyrer für einen Autobombenanschlag auf die Botschaft am nächsten Montag vorbereitet.
    Ich bin mir sicher, das ist reine Panikmache unsererseits. Die Stadt steckt voller Gerüchte. Aber Sabri meint, man solle es den Amerikanern dennoch sagen. Es wäre eine Katastrophe für das Land, wenn sie jetzt abzögen. Allerdings glaube ich allmählich, dass manche Leute genau diese Katastrophe wollen.
    Wenn es geht, werde ich mich morgen mit unserem amerikanischen Freund treffen. Sie wissen es sicher schon. Sabri sagt, sie hätten eigene Kontakte innerhalb der neuen Bewegung.
    Erinnerst du dich an die alte Mrs Wazzan aus dem Erdgeschoss? Im letzten Brief habe ich dir gar nicht geschrieben, dass sie gestorben ist. Ihr Neffe hat sie letzte Woche zusammen mit ihren Katzen in der Wohnung gefunden. Wir waren verblüfft, so lange ist es schon her, dass jemand, den wir kennen, eines natürlichen Todes gestorben ist.
    Ich habe Vater versprochen, dass ich dieses Wochenende nach Jounieh fahre. Manchmal kommt es mir vor, als wären sie verrückt, weil sie einfach dort oben weiterleben, als wäre nichts geschehen. Und doch bin ich jeden Tag dankbar, dass Nicole bei ihnen in Sicherheit ist.
    Ich schreibe dir nächste Woche wieder.
     
    Mina
     
    Unser amerikanischer Freund. Das dämmrige Auge meiner Taschenlampe zuckte noch einmal über die drei Wörter. Die Formulierung war seltsam, als hätten sie und Sabri diesen Menschen irgendwie miteinander geteilt. Und dann, weiter unten: … aber Sabri meint, man solle es den Amerikanern dennoch sagen.
    Was sonst hatte Sabri ihnen noch gesagt? Amal und die Amerikaner, eine sonderbare Allianz. Allerdings gediehen in Beirut damals viele unwahrscheinliche Freundschaften.
    Eine Autobombe. Wieder hörte ich Valsamis, die Worte, die er an jenem ersten Abend zu mir gesagt hat. Er hatte es gewusst. Meine Mutter hatte ihm Sabris Warnung überbracht, und er hatte nichts unternommen, um den Angriff auf die Botschaft zu verhindern. Darum hatte sie in ihrem letzten Brief auch solche Angst geäußert. Valsamis konnte nicht dulden, dass sie mit diesem Wissen weiterlebte.
    Ich erinnere mich an jenen ersten Nachmittag. Schon damals hatte ich geahnt, dass Valsamis ein Gauner war. Sabri sagt, sie hätten eigene Kontakte innerhalb der neuen Bewegung. Meine Mutter und Kanj hatten nicht begriffen, dass Valsamis nur mit ihnen spielte.
     
    Nachdem Valsamis sie und Kanj vor fünf Jahren im Piccadilly kennengelernt hatte, traf er sich jeden zweiten Montag im Monat mit Mina LeClerc, und zwar immer in der kleinen Buchhandlung in der Rue Achrafiye.
    Bis zu jenem Samstagabend, an dem sie sich zum letzten Mal sahen. Die meisten Mitarbeiter der Abteilung Nahost waren wegen der Sitzung am Montag in die Stadt gekommen und hatten sich im Commodore bei Dinner und Drinks versammelt, doch Valsamis war nach Hause gegangen. Er hatte früh begriffen, dass er stets ein Außenseiter in der Agency bleiben würde, und sich daher aus dem gesellschaftlichen Leben herausgehalten.
    Mina

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