Poseidon - Der Tod ist Cool
Kundenliste der Firma MLE. Darauf sind alle Käufer des FIA-LAB II aufgeführt.“
Frenzel reichte den Packen in Reiters Richtung. Der streckte seine Hand danach aus. Frenzel entging nicht, wie sehr sie zitterte. Er zögerte einen Moment, ihm die Unterlagen auszuhändigen.
Was ist mit dem Typen los?
Schließlich folgte er seinem Bauchgefühl.
Vielleicht hängt das Zittern mit dem Zucken des Auges zusammen. Irgendeine nervöse Störung.
Reiter nahm die Blätter entgegen.
„Was soll ich damit anfangen?“
Er sah ihn fragend an.
Frenzel glaubte, so etwas wie Enttäuschung in dessen Stimme zu hören. Mit einem Anflug Arroganz.
Aha, wieder ganz der Alte.
„Herr Doktor, Sie sind ein vielbeschäftigter Mann. Ich wende mich an Sie, weil ich davon überzeugt bin, dass Sie uns helfen können. Sie sind der Fachmann, wir fischen nur im Trüben. Ihre Hinweise gaben unseren Ermittlungen bisher immer die entscheidenden Impulse. Es ist sicher auch in Ihrem Sinne, dass wir den Täter möglichst schnell fassen.“
Die Worte sickerten in Reiters Ego und weichten es augenblicklich auf. So dachte Frenzel. In Wirklichkeit witterte Reiter eine Chance.
Die
Chance.
Seine womöglich
letzte
Chance.
Auf Heilung.
Chorea Huntington.
„Auf jeden Fall, Herr Hauptkommissar. Wie kann ich Ihnen also helfen?“
„Nun, ich gehe davon aus, dass Sie einige Ihrer Forschungskollegen persönlich kennen, dazu die Institute, die Einrichtungen. Sie besitzen die Kontakte. Unsere Leute benötigen einfach zu viel Zeit, um die Verkaufslisten hinsichtlich ihrer Relevanz zu ordnen. Kostbare Zeit. Sie sind der Richtige, um alle Adressen herauszufiltern, die Ihrer Meinung nach für uns interessant sein könnten.“
Frenzels Tonfall ließ keine Sekunde Zweifel darüber aufkommen, wie ernst er es meinte.
„Ich setzte auf Sie, Doktor.“
Der Satz schwebte im Raum. Reiter lächelte.
„Sie Glückspilz. Ich habe die nächsten Tage Urlaub.“
Er blätterte flüchtig die Unterlagen durch.
„Einiges an Material. Ich melde mich in spätestens drei Tagen bei Ihnen. Wäre dies für Sie in Ordnung?“
Frenzel dachte kurz nach.
Drei Tage. Unsere Leute benötigen mindestens eine ganze Woche. Ein guter Deal.
„Absolut, Herr Doktor Reiter. Vielen herzlichen Dank für Ihr Engagement während Ihres wohlverdienten Urlaubes.“
Frenzel hielt ihm die Hand zum Abschied hin.
Reiter ergriff Sie. Er schien sein Zittern für einen Moment unter Kontrolle zu halten.
„Nicht der Rede wert, Herr Hauptkommissar.“
Als Reiter wieder alleine in seinem Büro saß, kehrten die Ticks zurück. Sein linker Arm schlug wild in alle Richtungen aus, als führte er ein Eigenleben. Er verlor sein Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Dabei fegte er die Verkaufslisten vom Tisch.
Trotzdem durchströmte ihn Hoffnung.
Er faltete die Hände.
Schloss die Augen.
Betete.
Das erste Mal in seinem Leben.
30. Kapitel
Er drückte die Klingel.
Zum vierten Mal ohne Erfolg.
Auch telefonisch war niemand zu erreichen.
Hannelore Falk war anscheinend nicht zu Hause.
Das Vögelchen ist ausgeflogen. Zufall?
Frenzel spielte alle Möglichkeiten gedanklich durch.
Wusste sie wirklich mehr, als sie im Gespräch verlauten ließ? Wusste sie vielleicht, dass ihr Mann noch am Leben war? Hatten Sie Kontakt? Regelmäßigen Kontakt? Unterstützte sie ihn womöglich bei seinen Forschungen?
Die einzelnen Überlegungen kreisten in seinem Kopf, wie ein Mobile an der Decke. Es drehte immer schneller, bis die Schnüre sich ineinander verknoteten.
Zurück blieb Leere.
Für einen Augenblick.
Dann ergoss sich Frenzels Instinkt in dieses Vakuum, formte ein klares Bild, materialisierte es.
Auf keinen Fall.
Sie hat auf keinen Fall etwas mit der ganzen Sache zu tun. Sonst hätte sie sich anders verhalten. Dafür ist sie nicht der Typ. Ich habe mit einer einsamen, gebrochenen Frau gesprochen.
Frenzel kehrte dem Stahltor den Rücken und trottete zu seinem Wagen.
Aber wie wird sie es aufnehmen, wenn sie die Wahrheit erfährt?
Die ganze, schreckliche Wahrheit?
31. Kapitel
Helmut Haller. Leitender Polizeidirektor.
Frenzel widerstand dem Impuls, das Schild mit seiner Dienstwaffe zu durchlöchern, es von der Tür zu reißen und Haller in den Rachen zu stopfen. Er rief sich zur Ordnung.
Bleib cool, Peter. Gib ihm wenigstens eine Chance.
Er klopfte.
„Herein.“
Hallers Stimme versetzte ihm einen Stich. Nie zuvor drang eine andere als Nowotnys aus dem Büro.
Warm. Freundlich.
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