Poseidon - Der Tod ist Cool
menschliches Radar auf. Schiebend, rempelnd und stolpernd schob er sich weiter zum Kanal vor. Der Schweiß lief ihm in Sturzbächen herunter. Die Enge in Verbindung mit den sommerlichen Temperaturen brachte sein Blut zum Kochen. Frenzel zwängte sich aus seiner Lederjacke, auch wenn sie ihn in der Hand beim Vorwärtskämpfen behinderte. Zusätzlich befürchtete er, seine Brieftasche könnte im Durcheinander abhandenkommen. Schließlich bewegte er sich zur Hochsaison in einem Touristenkaff.
Das zog Taschendiebe an.
Frenzel erkannte außer Köpfen noch immer nichts. Er steckte in einem Knäuel von Einheimischen, deren Geschrei seine Sprachfähigkeiten überforderte.
So ein Mist. Sonst treten einem die Touristen ständig auf den Füßen herum, aber wenn man sie braucht, ist keiner zur Stelle.
Das Schieben und Rempeln nahm kein Ende. Langsam verwandelte sich Frenzels Aufregung.
In Ärger. Wut.
Sie brachte seine Abgeschlagenheit zurück. Seine Geduld verpuffte. Er quittierte jeden Stoß, den er in Rücken, Nieren oder Bauch bekam, mit doppelter Härte. Nicht nur seine Stimmung schien zu kippen. Je mehr die Menge sich dem
Mincio
näherte, desto lauter, desto aggressiver empfand er sie. Die Enge wurde Frenzel unerträglich. Er roch seinen alten Schweiß, der aufs Neue an ihm herunterkroch.
Er fühlte sich schmutzig. Ausgelaugt. Und alt.
Dieses Gefühl des Alters schüttelte ihn. Mit Macht breitete sich sein wirkliches Ziel vor ihm aus.
Was mache ich eigentlich hier? Wieso ergebe ich mich der Psychologie der Massen, folge dem Mob wie ein dressierter Straßenköter?
Er hätte sich ohrfeigen können. Er war nicht wütend auf die anderen, sondern auf sich selbst. Anstatt die Zeit sinnvoll zu nutzen, vergeudete er sie.
Du benimmst dich wie ein Anfänger im ersten Jahr der Polizeiausbildung. Wie hatte unser Lehrer immer gepredigt? Nehmt euch aus der Menge heraus und beobachtet sie – nur so bewahrt ihr die Chance, sie vielleicht zu kontrollieren.
Allmählich erreichte Frenzel den Kanal. Er erspähte die letzte Reihe von Leibern vor sich, die es an die Flussabsperrung der
Via Generale Bonomi
presste. Teilweise standen die Schaulustigen im Huckepack da. Ihre Hände ausgestreckt, deuteten sie auf den Flusslauf, gestikulierten, schüttelten ihre Köpfe. Brüllten lautstark durcheinander. Viele hielten sich Mobiltelefone ans Ohr, in die sie ständig die gleichen Worte hineinschrien. Frenzel zwängte sich zwischen ihnen hindurch. Der Lärm machte ihn fast taub. Als er den Grund für das Chaos erkannte, gefror sein Schweiß auf der Haut zu Eis.
Es hatte begonnen.
64. Kapitel
Otto Stiegler war ein Gewinner. Er hatte in seinem Leben immer alles richtig gemacht. Zumindest Intellektuell. Das Abitur mit eins komma zwei bestanden, danach mit einem Semester weniger als die Regelstudienzeit das Diplom in Betriebswirtschaftslehre in den Händen gehalten. Mit Auszeichnung versteht sich. Damals, als dieses Studienfach noch kein Sammelsurium aus verkappten Möchtegernakademikern darstellte, die aus Verlegenheit und aus einem Mangel an eigenen Möglichkeiten diesen Zweig gewählt hatten.
Hellen Köpfen, wie er einer war.
Gewinner eben. Die auf alle Fragen die richtigen Antworten wussten.
Anschließend direkter Einstieg in einer renommierten Unternehmensberatungsfirma als
Junior Consultant.
Dort wechselte er
s
ofort auf die Überholspur und bekleidete mit achtundzwanzig bereits die Position des
Senior.
Und heute?
Ende Dreißig und im Vorstand. Eine Erfolgsstory, selbst geschrieben, kein
bull shit Hollywoodkino
, wie er gern zu sagen pflegte.
Sicher, er hatte während dieser Zeit eine Ehefrau verschlissen, viele gebrochene Herzen zurückgelassen. Doch nun glaubte er, seine Traumfrau gefunden zu haben. Sie hieß Viktoria, ein dreiundzwanzigjähriges Rasseweib mit Modellmaßen, Beinen bis unter die Achselhöhlen und seit zwei Monaten seine Gattin.
Der krasse Gegensatz zu ihm.
Ohne Ausbildung, ein überschaubarer IQ, fügsam.
Wie all die anderen jungen Hühner, die in der Vergangenheit ihren Weg in sein Schlafzimmer deshalb fanden, weil sie dem Geruch des Geldes erlagen, den er in einer Intensität ausströmte, dass es fast schon körperlich schmerzte, so wusste Otto Stiegler, dass seine Viktoria ihn nicht wegen seines Adoniskörpers geheiratet hatte. Ihn kümmerte das wenig. Wie viele konnten von sich behaupten, mit Doppelkinn, schütterem dünnen Haar, über den Gürtel hängendem Schmerbauch und ohne Ansatz eines
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