Poseidon - Der Tod ist Cool
an.
Galatis Hoffnung, das Eis wäre nun gebrochen, verpuffte. Er nahm den Autoschlüssel vom Schreibtisch und setzte sich in Bewegung Richtung Tür. Bevor er sie öffnete, drehte er sich noch einmal um, blickte in Hallers Gesicht.
Jetzt weiß ich, was sein Kollege mit Differenzen meinte – die frische Narbe spricht Bände.
„
Alora
, gehen wir.“
63. Kapitel
Frenzel erwachte mit Schmerzen im Kreuz von der harten Pritsche. Ungelenk und steif hievte er sich hoch, streckte sich und hielt sein Gesicht in die Strahlen der Morgensonne, die durchs Zellenfenster fielen. Ihre Wärme kitzelte ihn allmählich wach. Trotzdem spürte er sofort – etwas stimmte nicht. Frenzel kannte die Geräusche des beginnenden Tages mit ihrem eigentümlichen Rhythmus, einer Komposition, die selbst in größter Hektik Routine ausstrahlte.
Diese Stadt ließ ihn diesen Rhythmus vermissen, sie schien aus dem Takt geraten zu sein. Eine Kakophonie aus Lärm, vermischt mit Aufregung und Anspannung, walzte über die Straßen. Frenzel blickte nach draußen: Frauen mit Kinderwagen, begleitet von ihren Ehemännern, im typisch südländischen Disput gestikulierend, säumten die Bürgersteige. Rentner stocherten mit ihren Stöcken ungelenk über den Asphalt. Geschäftsleute dirigierten sich in ihren Anzügen zwischen die Menschentrauben hindurch. Taxifahrer hupten Kaugummi kauend oder rauchend den anderen Verkehrsteilnehmern hinterher. Touristen.
Und alle bewegten sich in dieselbe Richtung.
Vereinzelt drangen Wortfetzen an sein Ohr, deren Sinn ihm verschlossen blieb. Er setzte sich auf sein Lager. Hunger und Durst machten sich bemerkbar, er fühlte sich gerädert.
Ein Nagelbrett wäre gemütlicher gewesen.
Seine Kleidung klebte klamm am Körper, der Schweiß bildete einen öligen Film auf seiner Haut. Frenzel hielt die Hand vor den Mund und atmete hinein. Er roch genau so, wie er sich wahrnahm.
Jetzt wird es langsam Zeit für den Abflug. Die werden mich hier ob der ganzen Aufregung draußen hoffentlich nicht vergessen haben. Frag mich nur, was da los ist.
Frenzel kratzte sich am Kopf. Gähnend drückte er auf die Klingel, mit der er sich im vorderen Wachraum bemerkbar machen konnte. Ihr Schrillen fuhr ihm durch Mark und Bein. Kurz darauf erschien das Gesicht eines Beamten in der Tür, der bei Frenzel einen völlig übermüdeten Eindruck hinterließ.
Na ja, wieso sollte es euch anders ergehen wie mir?
Frenzel setzte gerade zu einer Frage an, als der
Kollege
auch schon den Schlüsselbund zückte und die Zellentür aufschloss. Dabei gab er Frenzel mit einem Nicken zu verstehen, er könne verschwinden.
Als Frenzel an ihm vorbei schlich, streckte der ihm seine Lederjacke hin. Aus dessen Innentasche hing sein Gürtel, den sie ihm aus Sicherheitsgründen gestern abgenommen hatten.
Suizid durch Erhängen riskiert niemand.
„Grazie“
Keine Antwort. Stattdessen wedelte der Beamte mit den Händen, damit Frenzel sich schleunigst vom Acker machte.
Frenzel nahm die Jacke entgegen und kontrollierte sofort die Vollständigkeit seiner Papiere.
Alles in Ordnung.
Zufrieden zog er sie an und fädelte den Gürtel in die Schlaufen seiner Hose. Als er den Zellenraum verließ, empfing ihn die Leere der
Comando Compagnia
. Galati schien auch nicht da zu sein – die Tür zu seinem Büro stand auf, es war leer. Die Telefone klingelten in einem fort. Der
Carabinieri
trottete zum nächsten Apparat.
Er hob ab.
Frenzel verspürte erst den Impuls, das Gespräch abzuwarten, um zu fragen, was denn eigentlich passiert sei, verwarf diesen Gedanken aber genauso schnell, wie er gekommen war. Ein Blick auf das Häufchen Mensch, das sich mit den Anrufen abquälte, genügte ihm. Er würde seine Antworten bekommen. Er hatte noch den ganzen Tag Zeit.
Trotz der Eindrücke aus dem Zellenfenster und dem Telefonterror stockte Frenzel kurz der Atem, als er das vollständige Ausmaß der Menschenmassen erfasste, welche ihn draußen empfingen. Ein langer, pulsierender Wurm, der sich in viele kleine Würmer auflöste, die sich querfeldein von der
Via
Generale Dall´Ora
zur
Via
Generale
Bonomi
in Richtung
Mincio
zwängten, dem einzigen Abfluss des
Lago di Garda,
der nach zirka fünfundsiebzig Kilometern bei
Governolo
in den
Po
mündete
.
Die allgemeine Aufregung steckte ihn an, Hunger und Durst waren vergessen. Frenzel mischte sich unter das Volk, ließ sich vom Strom treiben. Seine Haut kribbelte. Sie nahm die Schwingungen, die durch die Luft zirkulierten, wie ein
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