Poseidon - Der Tod ist Cool
Verinnerlichen.
Die Worte schienen wie Wachs an den Wänden seines Gehirns herunterzulaufen und in dessen grauer Masse zu versickern. Hatte der Tag ihm Stunden zuvor noch ein Lachen aus der Brust entlockt, als er mit dem italienischen Kollegen über Frenzel und dessen Situation gesprochen hatte, so spürte er nunmehr die Bitterkeit, die sich in seinem Mund ausbreitete. Seine Zunge klebte am Gaumen – Haller dachte unwillkürlich an Schmirgelpapier. Er ging zum Wasserspender, zog einen Becher und füllte ihn. Normalerweise trank er keinen Tropfen von diesem künstlich schmeckenden Zeug, doch in seiner jetzigen Gemütsverfassung erhoffte er sich von diesem unnatürlichen Aroma seine Klarheit zurück.
Wir haben zwei männliche Leichen gefunden, allem Anschein nach ermordet. Ihre Papiere weisen sie als deutsche Polizeibeamte mit den Namen Karl-Heinz Engel und Jochen Kleisters aus.
Haller nahm einen weiteren Schluck. Es würgte ihn.
Meine beiden besten Männer!
Er pfefferte den Becher mit samt dem Rest auf den Boden und kickte ihn durchs Büro.
Wie konnte das nur passieren?
Das Wasser klatschte an Hosenbeine, über Schuhe, auf Akten. Haller ignorierte es.
Können Sie bitte zu uns ins Präsidium kommen? Sie müssen ihre Leute identifizieren.
Haller verspürte keine Trauer, keinen Schmerz. Diese Gefühle waren ihm fremd. Seit jenem Tag, als er im Alter von vier Jahren seine Eltern bei einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht verloren hatte, betrachtete er sie als Krankheit.
Die er mit Hass kurierte.
Er kramte den Fahrzeugschlüssel aus der Schublade seines Schreibtisches, verließ das Büro und hastete zum Wagen. Er wollte keine Zeit verlieren.
Bis Mitternacht kann ich es bis nach Italien schaffen.
Galati empfing den späten Besucher mit festem Händedruck.
„
Signore
Haller, seien Sie willkommen. Galati mein Name. Wir hatten telefoniert. Vielen Dank, dass Sie so schnell kommen konnten. Eine furchtbare Sache. Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen.“
„Vielen Dank.“ Haller wirkte müde und ausgelaugt auf seinen italienischen Kollegen.
„Bitte, nehmen Sie doch Platz. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“ Galati deutete auf einen Stuhl. „Kaffee vielleicht?“
„Gerne. Bitte mit Milch und viel Zucker.“ Haller setzte sich. Galati orderte das Getränk via Telefon und nahm ebenfalls Platz. Eine Pause entstand. Galati besaß keinerlei Routine darin, sich mit Angehörigen oder Arbeitskollegen von Verstorbenen zu unterhalten. Er hatte keine Lust, in irgendein Fettnäpfchen zu treten, deshalb beschränkte er sich darauf, sein Gegenüber zur Ruhe kommen zu lassen und sich einen Eindruck von dessen Verfassung zu machen. Es klopfte. Der Kaffee wurde gebracht.
Haller nickte dem Kollegen dankend zu. Galati packte die Gelegenheit, die Konversation wieder in Schwung zu bringen. „Ich hoffe, er schmeckt Ihnen. Der deutsche Kaffee besitzt ein anderes Aroma.“ Galati fühlte sich verunsichert. Sein Gegenüber strahlte trotz der tragischen Umstände eine Härte aus, die sein Selbstbewusstsein torpedierte.
„Ich trinke keinen deutschen Kaffee.“ Haller nahm einen Schluck. „Könnten wir vielleicht gleich zur Sache kommen? Die Umstände des Verbrechens hatten Sie mir bereits ausführlich am Telefon mitgeteilt. Nach Ihrer Beschreibung der Toten handelt es sich eindeutig um meine Männer.“ Haller setzte die Tasse auf den Unterteller ab und stellte beides auf Galatis Schreibtisch. „Kommen wir also zur Identifizierung, wenn es Ihnen recht ist. Ich denke, alle weiteren Fragen können wir danach besprechen. Auch im Hinblick auf das weitere Vorgehen bezüglich Ihres Insassen Frenzel.“
Galatis Nervosität stieg. Er spürte, wie ihm die Zügel aus der Hand glitten. Die Angelegenheit wuchs ihm über den Kopf. Er kam sich wie ein Amateur vor.
„Die Leichen wurden in die Rechtsmedizin nach
Verona
überführt.“ Ein Schweißfilm bildete sich auf seiner Stirn. „Es sind zirka dreißig Kilometer von hier. Wir müssten mit dem Wagen...“
„Dann verlieren wir keine Zeit.“ Haller erhob sich. Er blickte zu Galati. „Übrigens, woher sprechen Sie so hervorragend deutsch?“ Dabei lächelte er.
Galati mühte sich, seine Verwirrung über den plötzlichen Stimmungswechsel zu verbergen. Es gelang ihm nicht wirklich – er räusperte sich.
„Meine Mutter ist Deutsche. Sie ist aus Ostfriesland. Von ihr habe ich die blonden Haare geerbt.“
„Ah.“ Haller stand wartend da und sah Galati fragend
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