Poseidon - Der Tod ist Cool
trotzdem empfing ihn Dunkelheit, Schwerelosigkeit. Ohne Orientierung ruderte er mit Armen und Beinen, kämpfte gegen den Sog, der ihn in die Tiefe zerrte. Irgendwo entdeckte er ein Leuchten, das flimmernd durch die Schwärze trieb. Galati steuerte panisch darauf zu. Jede seiner unkontrollierten Bewegungen strengte ihn an, verbrauchte einen weiteren Teil des Sauerstoffs, der noch in seinem Blut zirkulierte, die Zellen mit Leben versorgte. Je mehr er strampelte, desto schwächer schien ihm das Licht zu werden.
Plötzlich kehrte Ruhe in ihm ein.
Für einen Augenblick dachte Galati an das gleißende Licht am Ende des Tunnels, das einen angeblich erwartete, wenn man starb und wunderte sich, dass es bei ihm nicht so war. Dann atmete er mit einem Zug den Tod in seine Lungen und versank im Nichts.
Das Loch in der Eisschicht des Sees schloss sich.
Es versiegelte Galatis feuchtes Grab.
Haller zielte.
Er kniff die Augen zusammen.
Er schoss.
Kugel für Kugel feuerte er das gesamte Magazin durch die Beifahrerscheibe ins Eis.
Ohne Erfolg.
Der Lärm betäubte ihn – das Hämmern des Bolzens, der ins Leere schlug, verhallte ungehört.
Die Kälte betäubte ihn – sein Finger, der ohne Unterlass den Abzug betätigte, schien von fremder Hand.
Die Ohnmacht betäubte ihn - Haller nässte sich ein. Die Wärme seines Urins drang nicht mehr zu ihm durch. Er schloss die Augen und faltete die Hände zum Gebet. Sein nahendes Ende spürend, fand Haller zurück zu einem Gott, den er zu Lebzeiten verspottet hatte.
„Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name.“
Sein Atem legte sich als dünne Eisschicht auf die Innenseite der Windschutzscheibe.
„Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“
Hallers Blick trübte sich ein. Galatis Plastikbecher, der auf der Konsole abgestellt dastand, zerfloss in seiner Wahrnehmung mit dem schwarzen Plastik des Interieur.
„Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Die Worte zersprangen an Hallers Lippen, die sich wie dünne Fadenwürmer kräuselten. Schließlich hallten sie nur noch in seinem Kopf wider.
Amen.
Die Zeit zerrann.
Die Karosserie des BMW ächzte unter dem Druck des Eises, das sich weiter in das Wageninnere fraß, die Scheiben zum Zerbersten brachte und Hallers Gefängnis stetig verkleinerte.
Als ihn die Elemente vollständig in ihrem Kokon eingeschlossen hatten, berührten sie seine Wangen, wie für einen letzten, kalten Kuss. Haller spürte ihn nicht mehr.
Das Eis am Wagen begann zu schmelzen und zog sich dorthin zurück, woher es gekommen war.
69. Kapitel
Tot oder lebendig.
Eine andere Möglichkeit bietet sich heute nicht.
Für keinen von uns.
Aufs äußerste konzentriert näherte sich Frenzel dem
Lago di Garda,
über dem der Himmel sternenklar die Arme ausbreitete. Seinem Instinkt gehorchend, folgte er einer unsichtbaren Spur, von fremder Hand gelegt, vom Mond beschienen. Nur das Klappern der Ledersohlen seiner Schuhe durchdrang die Stille. Mit jedem Schritt löste sich ein Stück von Frenzels Nervosität. An ihrer Stelle trat eine Klarheit, die Frenzel die Gewissheit gab, die Arena der letzten Zusammenkunft als Sieger zu verlassen. Er spürte sie als Energie in sich pulsieren, die alle Winkel seines Körpers durchtränkte. Schließlich blieb er stehen. Er hatte sein Ziel erreicht und stand vor einem größeren Gebäude, Bestandteil des Wasserkraftwerks von
Ponale
, in dessen vorderer Front eine überlebensgroße Statue aus Stein eingebettet war.
Der Wassergott!
Fast ehrfürchtig blickte Frenzel an dem Monument nach oben. Im Steinsockel erkannte er die eingemeißelten lateinischen Buchstaben, die nicht nur in Reiters Brust, sondern auch in Frenzels Gehirn eingebrannt waren.
Hoc opus hic labor est et aedibus in mediis numen aquarum.
„Dieses Werk hier ist eine mühevolle Arbeit und mitten im Gebäude herrscht die göttliche Kraft des Wassers.“
Frenzel erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde, als er Falks Stimme hörte, dann schnellte er herum, zog seine Waffe und richtete sie vor sich.
Nichts.
Der Platz war menschenleer. Nur das Rauschen des Blutes in seinen Adern störte die Ruhe.
„Wie wahr, doch die göttliche Kraft des Wassers herrscht nicht nur in diesem Gebäude.“
Die Worte kamen von links. Frenzel reagierte bereits, als Falk den Satz noch nicht zu Ende gesprochen hatte. Trotzdem schien Falk unsichtbar
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