Poseidons Gold
Gelächter: Micos Mutter. Anscheinend hatte sie sich glitschig wie Fischtran hier eingenistet, sowie Victorina gestorben war. Sie mampfte einen halben Brotlaib und dachte nicht daran, Mico zu helfen. Die Frauen meiner Familie verachteten diese komische Alte, die sich jede Bewegung zweimal überlegte, aber ich begrüßte sie ohne Hintergedanken. Meine Leute mischen sich grundsätzlich in alles ein, aber es gibt eben auch Menschen, die den Anstand haben, hübsch artig als bloße Parasiten in der Kulisse zu sitzen. Mir gefiel die phlegmatische Art der Alten. Bei Micos Mutter wußte man wenigstens immer genau, woran man war, und nichtsnutzige Flegel mit dem Besen aus dem Haus zu jagen oder hochnotpeinliche Gewissenserforschung zu betreiben war nicht ihr Stil.
»Marcus!« begrüßte mich Mico mit gewohnt überschwenglicher Dankbarkeit, und ich biß unwillkürlich die Zähne zusammen.
Mico war klein und dunkel, hatte ein käsiges Gesicht und ein paar schwarz verfaulte Zähne. Er war bereit, jedermann einen Gefallen zu tun; dafür mußte der Betreffende in Kauf nehmen, daß er seine Sache furchtbar schlecht machte und ihn obendrein noch mit pausenlosem Geschwätz zur Verzweiflung trieb.
»Mico!« erwiderte ich seinen Gruß ebenso herzhaft und schlug ihn auf die Schulter, denn ich ahnte, daß er des männlichen Beistands bedurfte. Wenn Mico aus irgendeinem Grund aus dem Gleichgewicht geriet, verfiel er in Depressionen, und er war schon ein klägliches Häuflein Elend gewesen, bevor fünf mutterlose Kinder, der Einzug seiner Mutter sowie der Verlust von Arbeit, Hoffnung und Glück ihm den Vorwand dazu lieferten. Mico war ein Pechvogel, und darin lag seine wahre Tragödie. Wenn er auf dem Weg zum Bäcker über einen Sack voller Goldstücke gestolpert wäre, dann wäre der garantiert sofort aufgeplatzt, die Aurei wären herausgekollert – und Mico hätte zugeschaut, wie sie einer nach dem anderen in einem heftig plätschernden Kanalschacht verschwanden.
Mir sank der Mut, als Mico mich jetzt mit gewichtiger Miene beiseite nahm. »Marcus Didius, du bist uns doch hoffentlich nicht böse, daß wir das Begräbnis ohne dich gehalten haben …«
All ihr Götter, was für ein Sorgenmacher! Ich weiß nicht, wie Victorina es je mit ihm ausgehalten hat. »Na ja, natürlich tut es mir leid, daß ich die Totenfeier verpaßt habe …« Ich sagte das mit bewußt heiterer Miene, weil ich wußte, wie sensibel Kinder auf Stimmungen reagieren. Aber zum Glück war Micos Brut vollauf damit beschäftigt, sich gegenseitig die Ohren langzuziehen.
»Ich war so unglücklich, daß du keine Gelegenheit hattest, das Elogium auf deine arme Schwester zu sprechen …« Abgesehen davon, daß ich heilfroh war, die Grabrede nicht hatte halten zu müssen, was dachte dieser Trottel sich eigentlich? Immerhin war er ihr Mann und hatte am Hochzeitstag die Verantwortung für Victorina übernommen, und zwar im Leben wie im Tode. Es war also seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sich ein paar höfliche Floskeln auszudenken, die er an ihrem Grab deklamieren konnte. Das letzte, was ich gewollt hätte, war, daß er meinetwegen darauf verzichtete, gewissermaßen als unangebrachte Reverenz vor mir als dem Oberhaupt der Familie Didius. Außerdem hatte Victorina ja auch noch einen Vater gehabt, genau wie wir alle. Ich war nur der arme Pechvogel, dem man Papas Verantwortung aufhalste, als dieser selbstsüchtige Drückeberger es vorzog, sich bei Nacht und Nebel aus dem Staub zu machen.
Mico bot mir einen Schemel an. Als ich mich setzte, zerdrückte ich irgend etwas Weiches unter mir. »Ich freue mich sehr über deinen Besuch, Marcus Didius … endlich können wir uns einmal aussprechen …« Mit seiner untrüglichen Menschenkenntnis hatte Mico sich als Vertrauten ausgerechnet einen wie mich erkoren, der sein Gewäsch keine fünf Worte lang aushielt.
»Immer gern zu Diensten, Schwager …«
Ich kam vom Regen in die Traufe. Mico nahm an, ich sei gekommen, um mir das Begräbnis in allen Einzelheiten schildern zu lassen. »Und du hättest den Trauerzug sehen sollen, Marcus … Unglaublich, wie viele Leute ihr die letzte Ehre erweisen wollten.« Wahrscheinlich war auf der Rennbahn nichts los an dem Tag. »Victorina hatte ja so viele Freunde …« Vor allem unter den Männern. Ich werde nie begreifen, wieso Typen, die sich mal mit ’nem Freudenmädchen eingelassen haben, plötzlich so eine Neugier entwickeln, wenn die Kleine vorzeitig dahinscheidet. Aber als Victorinas
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