Poseidons Gold
gewesen, mir nach dem eben Gehörten nicht mit einer gewissen Skepsis zu begegnen. Ihr Gesichtsausdruck war denn auch eher reserviert. »Ich hab ja immer gewußt, daß du ein bewegtes Leben hinter dir hast.«
»Urteile nur nicht zu streng über mich.«
»Ich denke, das besorgst du schon selbst.« Na ja, einer mußte es ja tun. »Marina scheint ein nettes Mädchen zu sein«, setzte Helena hinzu.
Ich wußte, was das zu bedeuten hatte. »Du hoffst, daß eines Tages einer kommt und sie vom Fleck weg heiratet.«
»Warum nicht?«
»Weil die Männer, mit denen Marina sich abgibt, genau wissen, daß sie keinen Ehemann sucht. Eine große Erleichterung für die Herren, die sich nicht darüber zu grämen brauchen, daß sie bereits alle beweibt sind!«
Helena seufzte.
Wir standen an der Ecke der Via Appia, und um uns war soviel Betrieb wie an einem ruhigen Tag auf dem Forum Romanum. Sklaven mit Körben und Amphoren auf den Schultern zockelten die Straße rauf und runter und gaben sich alle Mühe, den fünf oder sechs Tragstühlen in die Quere zu kommen, die Damen aus vornehmen Häusern beförderten. Handwerker hämmerten halbherzig am dunklen Bollwerk des alten Aquädukts, der Aqua Marcia, herum. Ein Karren, beladen mit Marmorblöcken, mühte sich das unebene Pflaster hinauf und geriet immer wieder gefährlich ins Schlingern. Drei Eseltreiber, die den Karren überholen wollten, zwei alte Weiber mit einer Gans und die Leute auf der Bank vor einem Friseurladen waren es leid, ständig nur diesen wackeligen Karren zu beobachten, und so richteten sie ihr Augenmerk statt dessen auf uns.
Um den Tag für alle unvergeßlich zu machen, schloß ich Helena in die Arme und küßte sie. Rom ist eine Stadt sexueller Freizügigkeit, aber selbst hier kommt es selten vor, daß eine Senatorentochter sich an der Straßenecke von einem Individuum betatschen läßt, das offensichtlich nur eine Stufe über der gemeinen Kellerassel steht. Ich hatte sie überrumpelt. Sie konnte mir nicht Einhalt gebieten, und ich hatte keinen Grund, aus eigenem Antrieb aufzuhören. Um uns herum bildete sich ein kleiner Volksauflauf.
Erst als ich Helena endlich losließ, bemerkte sie die Menge, die uns angaffte. Und sie besann sich darauf, daß wir im vornehmen Viertel der Porta Capena waren, direkt vor dem Haus ihrer illustren Familie. »Es gibt gewisse Regeln, Marcus!« flüsterte sie empört.
Ich hatte schon gehört, daß sich in Patrizierkreisen der Gatte drei Tage im voraus anmelden muß, wenn er seine Frau umarmen möchte. »Ich kenne die Regeln. Mir war aber danach, sie zu brechen.«
»Mach das noch mal, und ich ramm dir das Knie dahin, wo’s weh tut!«
Ich küßte sie noch einmal, und sie brachte das Knie in Aktion. Aber richtig zuzustoßen, traute sie sich doch nicht, und so richtete sie denn auch keinen Schaden an. Die Gaffer applaudierten trotzdem.
Helena machte ein bestürztes Gesicht. Offenbar glaubte sie, mich verletzt zu haben. »Auf Wiedersehen, Marcus!«
»Auf Wiedersehen, mein Schatz«, krächzte ich mit schmerzverzerrter Stimme. Jetzt kam ihr der Verdacht, ich würde nur simulieren.
Helena ging in unnahbarer Pose auf ihr Elternhaus zu. Ich blieb mit verschränkten Armen am Tor stehen, bis der Pförtner erschien, der es mit dem Öffnen nie eilig hatte. Als er endlich kam, drehte sich Helena an der Haustür verstohlen nach mir um, um zu sehen, ob ich schon gegangen wäre. Ich winkte ihr noch einmal zu und machte mich dann auf den Weg. Ich wußte, sie war in Sicherheit. Und wenn sie auf den Aventin zurückkehren wollte, würde ihre Familie ihr eine Sklaveneskorte mitgeben.
Nach der zermürbenden Visite bei Marina fühlte ich mich ganz steif und verspannt und hatte das dringende Verlangen nach ein wenig Ausgleichssport. Gewichtheben wäre jetzt genau das richtige, aber auch sonst gab es im Gymnasium vielerlei Trainingsmöglichkeiten für einen von Sorgen geplagten Mann. Ich schaffte es, meinen Besuch auf etliche Stunden auszudehnen.
»Der Kunde beehrt uns in letzter Zeit aber oft«, bemerkte Glaucus in seiner trockenen Art.
»Wahrscheinlich hast du auch schon erraten, warum. Besagter Kunde möchte seiner Familie aus dem Weg gehen!«
Ich verließ das Gymnasium so ausgeglichen und gestärkt, daß ich die weiteren Ermittlungen um ein Haar auf unbestimmte Zeit verschoben hätte. Aber als ich Helena vorhin auf offener Straße küßte, war mir eingefallen, wieviel lieber ich sie in trauter Zweisamkeit zu küssen pflegte. Falls Petronius
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