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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Weber
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Hauch Abscheu. Dass Julius daran denken konnte, sich aus der Welt zu stehlen und sie und Klaus in der Misere alleinzulassen, das hatte sie schockiert, aus der Bahn geworfen. Aber als sie Stunde um Stunde wach neben ihrem Mann gelegen und ihn angesehen hatte, hatte Beate irgendwann verstanden, dass diese Überlegung von Julius keine Feigheit war, sondern dem Gefühl der absoluten Ausweglosigkeit entsprang. Sie und Julius hatten nie über diese Nacht geredet.
    Beate goss sich einen weiteren Kaffee ein, setzte sich auf einen Küchenstuhl und legte die Beine auf den anderen. Das war ihr die liebste Zeit am Tage. Wenn sie ganz alleine war, wenn Julius und Klaus das Haus verlassen hatten. Dann erlaubte sie sich eine Tasse Kaffee und nahm sich die Zeitung – die sie für gewöhnlich nicht beim Frühstück las, weil sie versuchte, Klaus zu unterhalten – und flog über Vermischtes sowie die lokalen Nachrichten. In letzter Zeit fielen ihr die Meldungen über Verzweiflungstaten besonders ins Auge. Waren es mehr geworden seit der großen Bankenpleite? Oder kam es ihr nur so vor, weil sie selbst plötzlich in einer schlimmen Lage waren? Da waren Männer, die ihre Frauen und Kinder im Schlaf erschossen. Männer, die sich und ihr Haus mit Gas in die Luft jagten. Männer, die mit über hundert Sachen in ihrem Auto auf die Gegenspur fuhren oder gegen eine Wand. Immer waren es Männer. Dachten alle Frauen so wie sie, es ist ja nur Geld? Oder waren es deshalb die Männer, weil sie in der Regel die Versorger der Familie waren, die ihr Leben lang dafür gearbeitet hatten und nun vor dem Nichtsstanden? So war es bei ihnen, der Familie des Zahnarztes Dr. Julius Klinger. Anfangs hatte auch Beate in der Praxis mitgearbeitet, als Sprechstundenhilfe, um die Kosten niedrig zu halten. Julius hatte damals einen hohen Kredit bei der Bank aufgenommen, um sich den Traum von der eigenen Praxis zu erfüllen. Aber als Klaus kam, war sie natürlich zu Hause geblieben. Die Praxis lief auch gut, und als der Kredit abbezahlt war, hatten sie endlich etwas zur Seite legen können. Beate wusste nicht, wie viel es war, sie hatte mit dem Finanzkram nichts zu tun gehabt. Julius legte ihr jede Woche einen bestimmten Betrag an Haushaltsgeld in die Kasse, Extraausgaben meldete sie vorher an. Alles andere regelte Julius. Als er eines Tages nach Hause gekommen war, kreidebleich, mit der Nachricht, ihr Geld sei weg, war sie weniger schockiert gewesen, als sie ihm gegenüber vorgab zu sein. Denn das Geld, von dem er sprach, war für sie immer eine abstrakte Größe gewesen. Sie hatte keine Ahnung, von welchen Summen er da redete. Hunderttausend? Ein? Zwei? Eine Million? Und auch mit den anderen Begriffen, von denen in den folgenden Tagen und Wochen dauernd die Rede war – am Telefon, am Frühstückstisch bei der Zeitungslektüre, vor dem Fernseher –, konnte sie nichts anfangen. Termingeschäfte, Hedgefonds, Derivate: Beate wusste nichts von ihrer Bedeutung, sie konnte sie nicht in Geldwert umrechnen und was das für Julius, Klaus und sie bedeuten würde. Nur eines hatte sie begriffen: dass dieser Mann daran schuld war, dass das Geld, das Julius hart verdient hatte, das er für ihren Lebensabend, vor allem aber für ihren behinderten Sohn zurückgelegt hatte, dass dieses Geld unweigerlich verloren war.
    *
    Was ihn wirklich fertigmachte, mehr noch als der Keller und die Handschellen, mehr noch als die Alte und die Neonleuchte, das, was ihm die Lage unerträglich machte, war der Entzug. Keine Monitore, keine Grafiken, keine Indizes. Er konnte sein Hirn nicht abstellen, er dachte an seine Geschäfte. Wie tief waren die Aktien gefallen, wie stand es um seinen Fonds? Was passierte mit den Termingeschäften, wenn der Yen gestiegen war? Er war sich absolut sicher, dass er hier rauskommen würde, aber er hasste es, dass er nicht wusste, was ihn dann erwartete. Wie viel würde er verloren haben? Er war immer top informiert gewesen, er hatte allzeit die Kontrolle über seine Geschäfte gehabt. Sank der Nikkei-Index unter eine bestimmte Marge, hatte sein Smartphone Alarm gegeben. Eine coole App, die ihm ein Kollege aus den Staaten empfohlen hatte. Und jetzt war er seit Stunden, seit Tagen wach, dachte an sein Business und war absolut machtlos. Das würde er sie büßen lassen. Er kniete sich hin, drückte den Rücken gerade durch und legte die Handflächen flach auf den Betonboden. Dann senkte er das Kinn auf die Brust und begann mit seinen Atemübungen. Er zentrierte sich

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