Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Julius begann aus dem Stand mit einer Schimpfkanonade. Über die Unzweckmäßigkeit der Garderobe, darüber, dass diese viel zu voll gehängt war – Beate wusste, dass er ihr die Schuld darangab – und dass die Holzbügel ungeeignet für seinen leichten Sommertrenchcoat waren. Wie oft hatte er schon erwähnen müssen, dass er Bügel mit einem Rutschstopp bevorzugte – auch das war Beates Versagen. Wenn ihr Mann in dieser Stimmung war, so hatte Beate gelernt, war es das Beste, sie tat, als ob sie nicht da wäre. Sie entgegnete nichts auf seine Vorwürfe, zog den Kopf ein und wartete, bis das schwere Unwetter vorüberging. Julius holte dann zu einem Rundumschlag gegen die Schlechtigkeit der Welt aus, die ihn, ganz besonders ihn, mit voller Wucht traf, und er verschonte dabei niemanden mit seiner schlechten Laune. Selbst Klaus hatte in seiner Beschränktheit erkannt, dass es dann besser war, dem Papa aus dem Weg zu gehen, und verschwand rasch in seinem Zimmer. Nicht ohne Beate vorher auf die Wange zu küssen und ihr zu sagen, wie lieb er sie hatte.
Julius war bei seinem Standardthema angelangt, der Gängelung der niedergelassenen Ärzte durch die Krankenkassen, und schimpfte das gesamte Gesundheitssystem in Grund und Boden. Er unterbrach sich dabei nur, um einen prüfenden Blick auf den gedeckten Kaffeetisch zu werfen.
»Du weißt doch, dass ich keinen Kirschplunder esse«, war sein missgelaunter Kommentar.
»Das ist ja auch für Klaus. Für dich habe ich die Quarktasche geholt.«
Julius verzog das Gesicht. »Mach mir zwei Stullen. Ich geh hoch und packe ein paar Sachen zusammen. Ich fahre heute noch runter.«
Beate erschrak. Sie hätte nicht nachfragen müssen, wohin Julius aufbrechen wollte, aber sie tat es dennoch. »Wohin? Warum musst du … Wir hatten doch etwas anderes ausgemacht!«
»Es gibt Schwierigkeiten«, versetzte ihr Mann unwirsch. »Gudrun braucht mich in Lohdorf. Sie kommt mit der Situation nicht alleine klar.«
»Aber wir hatten besprochen, dass du frühestens eine Woche danach runterfahren sollst. Frühestens! Das ist doch viel zu auffällig jetzt. Julius!«
Sie sah ihm an, dass ihm nicht wohl war bei der Sache. Ihnen beiden nicht. Vorher, als sie monatelang geplant und darüber geredet hatten, schien ihnen alles so einfach. So sicher. Sie würden ihr Geld zurückbekommen, davon waren sie überzeugt gewesen. Aber nun, wo sie den Mann hatten und es kein Zurück gab, da tauchten Fragen und Probleme auf, die sie vorher nicht durchdacht hatten. Durchdenken wollten. Dazu kam, dass sie Gudrun von Rechlin nicht über den Weg trauten. Beide nicht, auch Julius, das wusste Beate. Aber er war in der Lage, seine Antipathie wegzudrücken, weil sie der Sache hinderlich war, wie Julius sich auszudrücken pflegte. Der Sache. Sie wuchs ihr über den Kopf, die Sache, und Beate wünschte, sie hätten nie damit angefangen.
Es war vor acht Jahren gewesen. Julius, Klaus und sie hatten sich eine Kreuzfahrt gegönnt. Julius hatte seine Praxis aufgegeben und war in Rente gegangen. Sie hatten sich ihren Lebensabend glänzend ausgemalt, wollten reisen und endlich das Leben genießen, das voller Frustrationen und Entbehrungen gewesen war. Sie hatten die »Hurtigruten« gewählt, eine vierzehntägige Kreuzfahrt durch die Fjorde Norwegens, mit Außenkabine. Und einem dritten Bett für Klaus. Auf dieser Reise hatten sie Gudrun und ihren Mann Volkmar kennengelernt. Volkmar war ein glänzender Unterhalter gewesen, er hatte sogar den spröden Julius schon am ersten Abend um den Finger gewickelt. Als sie zehn Tage später von Bord gegangenwaren, hatte Julius die Visitenkarte von Hans Günther Heims, Investmentbanker und Anlageberater, in der Tasche gehabt und jede Menge Anlagetipps von Volkmar. Amerikanische Immobilienfonds, darauf hatte Volkmar gesetzt. Kombiniert mit anderen Anlagen, von denen Beate nichts verstanden hatte. Sie hatte auf der Reise versucht, Abstand zu den Rechlins zu halten, die ihr zu überheblich waren mit ihrem adeligen Getue. Drei Wochen nach Abschluss der Kreuzfahrt hatten sie die Nachricht erhalten, dass Volkmar gestorben war. Hirnschlag, es ging ganz schnell. Da hatte Julius bereits sein gesamtes Vermögen diesem Heims in den Rachen geworfen.
Ein paar Jahre lang war wohl alles gutgegangen, Beate wusste nichts davon. Aber allein die Tatsache, dass sie nichts mitbekommen hatte, ließ sie vermuten, dass mit dem Geld alles lief wie geplant. Bis zum September 2008. Dem Tag der Lehman-Pleite. Sie
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