Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
erkundigte sich Stifter.
Noah zuckte mit den Schultern. Dann zog er aus der Tasche seines karierten Hemds eine CD und hielt sie Stifter hin. Mit dickem Edding stand quer über die Scheibe gekritzelt: Lackmantel de Luxe.
»Deine Band?« Stifter musste ein Schmunzeln verbergen. Seine erste Band hieß, den damaligen Zeiten gemäß, »NietzscheFive«. Sie hatten miesen Crossover gespielt, waren sich dabei aber vorgekommen wie die legitimen Nachfahren von Genesis. Bis zum heillosen Konzert bei der Schulfete 1980. Danach hatten sie sich nie wieder getroffen und zusammen Musik gemacht. Er hatte bei anderen Bands gespielt, wie seine Freunde auch. Aber seinen Glauben an eine Profikarriere als Musiker hatte er begraben.
Noah nickte und schickte sich an, übers Gras davonzuschlurfen.
»Ich hör’s mir heute Abend gerne an. Kommst du zum Lernen vorbei? Oder Rubina?« Erneut das stumme Achselzucken. Dann rang sich Noah aber doch durch, mit ihm zu sprechen.
»Muss noch Zeitungen austragen. Danach mal sehen. Vielleicht kommt ein Kumpel zu mir.«
»Alles klar. Ich bin sowieso hier.«
Keine Reaktion. Noah drehte sich einfach um und ging. Da fiel Stifter etwas ein.
»Noah, wart mal. Du trägst doch oben im Villenviertel aus, oder?«
Die schwarzen Haare wippten auf und ab.
»Auch in der Wettersteinstraße?«
Zögern, dann erneutes Wippen.
»Kennst du die Rechlins? Von Rechlin?«
Jetzt kam Noah neugierig zwei Schritte zurück. Er strich sich die Strähnen aus dem Gesicht und sah Stifter interessiert an. »Nee, glaub nicht. Warum?«
»Ach, nur so.«
Noah legte den Kopf schief und betrachtete Stifter. Dann lächelte er schief.
»Komm, Alter. Warum?«
»Ich war gestern da. Es war ein bisschen …«
Jetzt zeigte Noah echtes Interesse. Er setzte sich neben Stifters Liegestuhl ins Gras. »Ey, die sind voll schräg da oben. Ich meine, da läuft ’ne ganze Menge Irrer rum.«
»Ach ja?«
»Kennst du Edeltraud? Voll krass, Alter.«
»Edeltraud? Nein. Wer ist das?«
»Die hat immer ’nen Nerzmantel an, Alter, immer. Die ist so endkrass. Frisst aus’m Müll, dabei hat sie ’ne Riesenvilla.«
Die Pflaumendiebin, erkannte Stifter.
»Jetzt weiß ich«, entgegnete Stifter. »Die habe ich heute gesehen. Sie trägt zum Nerzmantel einen Turban und Stiefel.«
Noah rupfte einen Grashalm ab und knabberte an dem Stiel. Er schob sich sogar die Haarsträhnen aus dem Gesicht.
»Der Fabi hat schon mal gesehen, wie die bei einem in den Garten eingestiegen ist – Alter!«
»Über den Zaun?« Stifter war fassungslos. Die Frau musste weit über achtzig sein!
»Jeder kennt die, Mann. Edeltraud. Mama hat mal versucht, sich um die zu kümmern. Aber die wollte gar nicht. Die lässt niemanden bei sich rein.«
Stifter wunderte sich. Jemand, der so verwirrt war, gehörte in Obhut. Scheinbar sorgte sich aber niemand darum, dass die alte Frau in ein Heim kam. Noah war jetzt voll in seinem Element.
»Die wohnt Pestalozzistraße. Is ’n Riesengrundstück. Ins Haus kommt man nicht rein, die hat alles verrammelt. Aber wenn sie jemanden erwischt, tillt sie voll aus.« Er grinste. Hinter seiner Stirn arbeitete es sichtbar, und Stifter wusste, dass sich in Noahs Pubertätshirn eine ungute Idee formte.
»Warum ist sie nicht im Heim?«
Schulterzucken. »Mama sagt, die ist harmlos. Nur bisschen gaga.«
Da ist sie nicht die Einzige, dachte Stifter. Wobei er Gudrun von Rechlin nicht für harmlos hielt. Sicher beging die Alte keine Straftaten im landläufigen Sinn, aber er hielt sie für grausam. Seelisch grausam.
»Und die … wie heißen die? In der Wettersteinstraße?«
»Rechlin. Annette und Gudrun von Rechlin.«
Noah war neugierig. »Sind die auch so irre?«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Seltsam sind sie. Deshalb habe ich dich gefragt. Ob dir mal was aufgefallen ist.«
Noah stand auf, spuckte den Grashalm zur Seite und lächelte.
»Ich hab ’n Auge drauf, Alter.«
Mit diesen Worten drehte er ab und ging zum Haus zurück. Stifter bemerkte, dass er nun weniger schlapp lief, fast wirkte er beschwingt. Er hat ein Ziel, dachte Stifter, etwas, das ihn interessiert. Nicht nur stupides Zeitungsaustragen. Sondern Leute angucken, die gaga sind.
*
Schon an der Art, wie Julius die Haustür aufschloss, hörte Beate, dass er schlechte Laune hatte. Er war ungeduldig und stocherte mit dem Schlüssel herum, bevor dieser ins Loch fand. Als er dann mit Klaus hereinkam und seinen Mantel an die Garderobe hängte, fiel ein Bügel zu Boden, und
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