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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Weber
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nichtsdestotrotz half ihm die räumliche Distanz beim Vergessen. In etwa zeitgleich war Georg Thalmeier in Rente gegangen, der Fall in Germerow sollte sein letztergewesen sein. Der alte Polizist hatte Sehnsucht nach seiner Heimat gehabt und war dorthin gezogen, wo er hergekommen war: in ein kleines Kaff oberhalb des Tegernsees. Soviel Stifter verstanden hatte, besaß Thalmeier dort ein Haus.
    Ein paar Monate nachdem Stifter Brandenburg verlassen hatte, hatte sein Handy geklingelt und sich überraschend ein bayerischer Bass am anderen Ende der Leitung gemeldet. Es war Georg Thalmeier gewesen, der durch seinen Bernauer Kollegen Karl Galicek von Stifters Umzug erfahren hatte. Thalmeier hatte Stifter plötzlich geduzt und sich danach erkundigt, wie es ihm in den südlichen Gefilden ergehe. Stifter hatte die Vertraulichkeit der bayerischen Eigenart zugeschrieben, jeden ungefragt zu duzen, das war ihm in Lohdorf schon mehrfach begegnet, und er hatte es widerspruchlos hingenommen. Ohne allerdings seinerseits das förmliche Sie aufzugeben. Seit diesem Telefonat hatte Thalmeier sich regelmäßig gemeldet. Einmal die Woche rief er an. Johannes Stifter glaubte, dass Thalmeier einsam war. Er hatte keine Kinder, und die Frau war einige Jahre zuvor gestorben. Hatte Galicek gesagt, Thalmeier selbst sprach nie darüber. Sie tauschten Unverbindlichkeiten aus, und Stifter war amüsiert, weil der alte Mann auf jede seiner Fragen stets mit »Ja mei. Passt scho.« antwortete. Mittlerweile waren die Telefonate zu einem festen Bestandteil seines Lebens geworden, gleich den regelmäßigen fernmündlichen Gesprächen mit seiner Mutter. Heute war Stifter regelrecht dankbar, dass Schorsch Thalmeier ihn anrief, und er zögerte nicht, ihm von den beiden befremdlichen Begegnungen mit den Damen von Rechlin zu erzählen.
    Thalmeier hörte aufmerksam zu und seufzte dann: »Ja, mei. Schön ist was anderes.«
    »Mmh. Was kann ich tun?«
    Längeres Schweigen. »Nix.«
    »Nix?«
    »Ist doch nix passiert, oder?«
    »Na ja.«
    Thalmeier nahm sich mit seiner Antwort Zeit. »Ich versteh schon. Aber es ist nix Relevantes passiert. Im strafrechtlichen Sinn. Wie die zwei da leben – das ist halt ihre Sache. Verstehst schon?«
    »Ich weiß.«
    »Des sag ich dir als Polizist. Als Mensch sag ich dir, schau hin. Sei nett. Klingelst mal, wennst da bist. Fangst a Gespräch an.«
    Stifter nickte. Er wusste, dass Thalmeier recht hatte, aber das war ihm zu wenig. Der Anblick von Annette von Rechlin, wie sie dalag, völlig hilflos, mit den schweren Augenlidern. Krank und einsam – das Bild ließ ihn nicht mehr los. Er wollte mehr tun, als nur nett zu sein.
    »Wie alt ist die Tochter, hast du gesagt?«
    »Keine Ahnung. Mitte fünfzig?«
    »Schau her. Kannst eh nix machen.«
    Jetzt schwiegen beide Männer. Sie hingen ihren Gedanken nach. Thalmeier brach als Erster die Stille. »Wenn was ist, rufst an.«
    Fehlt nur noch, dass er sagt »mein Junge«, dachte Stifter unbehaglich, wie auch immer das auf Bayerisch hieß. Zu viel Nähe war ihm suspekt. Obwohl er den alten Bayer schätzte. Vielleicht mehr als das: Er war ihm sympathisch. Aber sie waren einander doch fremd, sie hatten sich seit September letzten Jahres nicht gesehen, und diese letzte Begegnung war nicht privater Natur gewesen.
    »Danke jedenfalls.«
    »Nix für ungut.«
    Stifter konnte hören, dass Thalmeier dabei lächelte.
    »Ich behalte die Damen mal im Blick. Tschüs.«
    Das Lächeln wurde breiter. »Servus.«
    Stifter beendete das Gespräch und beobachtete, wie Noah über den Rasen auf seine kleine Holzhütte zugeschlurft kam. Woran lag das, fragte sich der Briefträger, dass in einem bestimmten Alter alle Energie aus den Jungen zu weichen scheint. Ein Alter, in dem sie auf dem Höhepunkt ihrer Kräfte sind. Er wusste, dass Noah ein sportlicher Typ war. Er surfte, er fuhr Mountainbike und im Winter Snowboard. Mit den Kumpels spielte er Basketball oder Beachball. Aber kaum war eine sportliche Aktivität beendet, sackte der Junge in sich zusammen. Er schlich mit fragezeichenförmig gebogenem Rücken herum, vom ganzen Elend der Welt niedergedrückt, ließ den Kopf mit den schwarzen Haaren hängen, die sein Gesicht wie ein Vorhang bedeckten, sprach nicht mehr als absolut notwendig und verweigerte jeden überflüssigen Kontakt mit der Außenwelt.
    Noah knickte ein Handgelenk schlaff zum Gruß ab, als er Stifter, der in seinem Liegestuhl saß, erreichte und ließ sich ins Gras fallen.
    »Wie lief das Referat?«,

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