Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
aktive Gartenarbeit betrieben. Der brachliegende Garten stimmte Beate traurig, denn sie hatte sich immer einen eigenen Garten gewünscht. Aber zu einem Haus hatten ihre Finanzen nicht gereicht, und so beschied sie sich mit einem Balkon. Diesen allerdings hegte und pflegte sie, sie entlockte ihm sogar Gemüse und Obst.
Kein Laut drang aus dem Haus, und Beate Klinger atmete tief ein, bevor sie sich überwand und auf die Klingel drückte. Kurz darauf wurde ein kleines Fenster im oberen Stockwerk aufgerissen, und Gudrun steckte ihren weißen Kopf heraus. Ein altgewordenes Rapunzel, dachte Beate erschrocken, als der lange Zopf über Gudruns Schulter fiel. Gudrun schien bass erstaunt, dass Beate vor ihrer Tür stand, und reagierte zunächst mit einem unwirschen »Was willst du hier?«.
Aber Beate hatte nicht die lange Reise von Frankfurt mit dem Zug unternommen, um sich ins Bockshorn jagen zu lassen. Obwohl sie spürte, dass ihre Hände schweißig wurden und sie bei Gudruns hexenhaftem Anblick Unwohlsein befiel, blieb sie standhaft.
»Kannst du mir bitte aufmachen? Gudrun?«
Gudrun reagierte nicht sofort, sondern starrte Beate an. Diese bemühte sich, ihren Blick nicht abzuwenden. Schließlich gab sich Gudrun einen Ruck.
»Es passt mir jetzt nicht. Komm ein anderes Mal.«
Bittere Wut stieg in Beate hoch. »Nein! Ich suche Julius …«
»Er ist nicht hier«, unterbrach Gudrun sie.
»Das weiß ich, aber ich muss irgendwo anfangen, ihn zu suchen. Bitte öffne jetzt und lass mich rein. Ich bin extra von Frankfurt hierher…«
Gudrun machte allen Ernstes Anstalten, das Fenster zu schließen. Aber jetzt kamen zwei Männer auf der Straße entlanggeschlendert, ein älterer Mann in Tracht und ein etwas jüngerer in Jeans und weißem Hemd. Beate ahnte, dass diese beiden ihre Chance waren, denn was Gudrun um jeden Preis würde vermeiden wollen, war Aufmerksamkeit. Also insistierte Beate mit Nachdruck.
»Gudrun, bitte lass mich jetzt rein. Ich möchte mit dir sprechen. Vielleicht kommt uns eine Idee, wo Julius …«
»Schon gut, ich mach dir auf«, unterbrach Gudrun sie, denn ihr war nicht entgangen, dass die beiden Männer neugierig zu ihnen herüberblickten. Beate grüßte, und die Männer nickten ihr freundlich zu. Kurz darauf kam Gudrun aus der Haustür. Sie warf einen grimmigen Blick auf die Passanten, von denen der eine sie mit Namen grüßte, und öffnete Beate das Gartentor. Dann zog sie sie am Arm in den dunklen Hausflur. Kaum hatte sie die Tür hinter ihnen geschlossen, überfiel sie Beate mit Vorwürfen.
»Was denkst du dir dabei, hier zu erscheinen? Wir hatten verabredet, dass mindestens zwei Wochen vergehen, bis wir uns treffen. Man soll keine Verbindung zwischen uns herstellen können!«
»Aber du hast doch selbst Julius angerufen und ihn gebeten zu kommen«, wehrte sich Beate.
»Weil ich ein Problem hatte. Das hat sich aber erledigt.«
»Weiß Julius davon?«
»Was meinst du?« Gudrun wirkte unwirsch und verwirrt.
Beate schöpfte ein wenig Hoffnung. »Wenn er gewusst hätte, dass du ihn vorerst noch nicht brauchst, dann wäre er vielleicht umgekehrt. Das meine ich.«
Gudrun sah sie spöttisch an. »Und wie hätte er davon erfahren sollen? Er hat kein Handy, soviel ich weiß. Und hier ist er gar nicht angekommen, wie oft soll ich dir das noch sagen.«
Beate spürte, dass sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten konnte. Sie war so erschöpft. Sie hatte nicht geschlafen, sie war voller Angst und Sorge, und nun stand sie dieser hartherzigen Frau gegenüber, mit der sie ein böses Schicksal verband, und diese Frau war nicht einmal bereit, ihr einen Stuhl und etwas zu trinken anzubieten, geschweige denn ein offenes Ohr.
Gudrun wurde ungehalten. »Jetzt heul nicht.« Sie kramte ein Stofftaschentuch aus der Tasche ihrer Strickjacke und bot es Beate an. Diese tupfte sich mit zittrigen Händen die Augen trocken.
»Was soll ich machen, Gudrun? Ich bin so hilflos. Ich habe solche Angst. Julius ist etwas zugestoßen, ich bin mir sicher.«
Nun erbarmte sich Gudrun von Rechlin und führte Beate ins Wohnzimmer. Sie nahm auf dem hellgrünen Samtsofa Platz. Beate registrierte, dass Gudrun unruhig war und sich nicht anschickte, ihr etwas anzubieten. Sie wollte sie beruhigen und dann so rasch wie möglich wieder los sein. Aber sie würde so schnell nicht aufgeben. Sie würde einen Hinweis auf Julius erhalten, davon war sie fest überzeugt.
»Was hat er zu dir gesagt, am Telefon?«, erkundigte sie sich bei
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