Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
ein intensives Gespräch vertieft waren. Thalmeier lud Stifter ein, aber dieser winkte ab. Er hatte keinen Hunger auf Süßes, er strebte die Waldwirtschaft hinterm Novalisplatz an, wo er sich eine ordentliche Mahlzeit zur Katerbekämpfung einverleiben wollte. Das hielt Thalmeier jedoch nicht davon ab, sich zwei Kugeln zu gönnen, eine krude Mischung aus Kumquat-Limette-Eis und After Eight. Stifters Magen hob sich ein wenig beim Anblick des Doppelstöckers, aber Thalmeier schleckte begierig die an der Waffel heruntertropfende Eissoße. Sie setzten sich auf einen kleinen Mauervorsprung an Lohdorfs Brunnen, den die Bronzestatue eines Mönchleins zierte. Bruder Josephus, der Gründer eines Marktfleckens, aus dem das spätere Lohdorf erwachsen war. Vor ihnen auf der Hauptstraße manövrierte ein dunkelblauer Mercedes Diesel, der schon bessere Tage gesehen haben musste. Das Kennzeichen war ungarisch, im Fenster hing eine in die Jahre gekommene Marineuniform auf einem Bügel, und hinter dem Steuer saß ein offenbar vollkommen orientierungsloser alter Mann. Thalmeier schüttelte den Kopf.
»Der kann doch gar nimmer fahren, der oide Depp.« Stifter war von der Respektlosigkeit der Bemerkung überrascht, konnte Thalmeier aber nur beipflichten. Der Mann fuhr den Wagen jetzt in stotterndem Schritttempo bergauf und verschwand in der Unterführung, nur um wenige Minuten später unter dieser wieder hervorzukommen und an ihnen vorbei bergab zu fahren. Stumm beobachteten die beiden Männer das Schauspiel. An der großen Kreuzung wendete der Mercedes erneut und steuerte nun direkt auf die Eisdiele zu. Der Mann hinter dem Lenkrad bremste ruckartig, kurbelte das Fenster herunter und erkundigte sich in die Menge hinein nach dem Weg. Aber die Ausflügler, Familienväter und Teenager reagierten nicht auf ihn, so dass Stifter sich bemüßigt fühlte, zum Auto zu gehen und dem Fahrer Auskunft zu erteilen. Wie sich herausstellte, war dieser auf der Suche nach der Wettersteinstraße, und der Briefträger wies ihm den Weg. Der alte Mann bedankte sich, kurbelte mühsam das Fenster hoch und versuchte, seine Fahrt fortzusetzen. Bei dem Bemühen, am Berg zu starten, würgte er allerdings den Motor ab, und er brauchte mehrere Anläufe, bis er es geschafft hatte, den schweren Wagen in Gang zu setzen. Stifter hatte bemerkt, dass der Alte auf einem Auge fast blind war, und fragte sich, wie dieser den Weg von Ungarn bis nach Bayern zurückgelegt hatte. Er setzte sich wieder neben Thalmeier, dem die Eissoße bereits über die Hand lief, und schob sich die dunkle Sonnenbrille auf die Nase. Fünfzehn Minuten noch bis zum Biergarten. Dort würde er eine Spezi trinken, einen Schweinsbraten essen, danach den Expolizisten zur S-Bahn bringen und sich wieder ins Bett legen. Und schlafen bis zum nächsten Morgen. Zufrieden nickte er, als Thalmeier sich das letzte Stück Eiswaffel in den Mund schob, die Hände am Brunnenwusch und Stifter unternehmungslustig zunickte: »Pack ma’s?«
*
Gudruns Herz schlug schneller, als sie den dunkelblauen Mercedes vom Novalisplatz in die Wettersteinstraße einbiegen sah. Es war der Wagen, den Harald bereits vor fünfzehn Jahren gefahren hatte, als sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Flüchtig nur. Ein hastiger Kuss in der Hotellobby, aber er war extra für sie nach Budapest gekommen. Sie wusste nicht genau, wo er in Ungarn lebte, aber er hatte gesagt, es sei in the middle of nowhere , irgendwo auf dem Land. Sie war damals mit Volkmar im Hotel Boscolo, sie machten eine Kulturreise durch osteuropäische Metropolen. Tatsächlich war Volkmar nur in den Casinos gewesen. Prag, Budapest, Kiew, St. Petersburg. Er hatte sich eingebildet, dass es dort leichter sein würde, das große Glück zu machen, oder dass der Champagner billiger wäre. Was auch immer, es hatte nicht funktioniert. Sie hatten in den teuersten Hotels residiert und waren Erster Klasse geflogen. Aber schon auf der ersten Station ihrer Reise hatte es Probleme mit den Kreditkarten gegeben, und Gudrun hatte gewusst, was das bedeutete. Als sie dann in Budapest alleine in ihrem Hotelzimmer lag, hatte sie Harald angerufen. Sie hatte seine Telefonnummer immer in ihrem Portemonnaie, auf einem kleinen Zettel. Er hatte sie ihr in einem seiner vielen Briefe geschrieben, nachdem er nach Ungarn umgesiedelt war. Er schrieb, er habe sich ein Bauernhaus gekauft und betreibe Landwirtschaft. Von seiner schmalen Rente könne er in Deutschland nur vegetieren, in Ungarn dagegen
Weitere Kostenlose Bücher