Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
geschwungen.
»Ich glaube nicht, dass dein Freund einen Babysitter braucht.«
»Mann, Mama. Es ist noch nicht mal zehn.«
»Zisch ab.«
Gemeinsam sahen Stifter und Kyra zu, wie die beiden Pubertierenden auf ihren Bikes losrasten. Sie traten wie besessen in die Pedale, und Lukas riss dabei übermütig sein Vorderrad in die Höhe. Jungs in dem Alter, dachte Stifter, konnten vor Kraft nicht einmal normal Fahrrad fahren. Sie mussten sich und allen anderen beweisen, dass sie die Herren der Welt waren. Er bedauerte, dass sich der Überschwang so schnell wieder verlor.
Kyra grinste und schüttelte den Kopf. »Er ist der Schlimmste.«
»War Jeremias nicht so?«
»Nein.« Kyra lachte wieder und trat dann im Gras die Kippe aus. »Er war irgendwie normaler. Erschreckend vernünftig. Fast schon zu brav. Vielleicht, weil er unter der Fuchtel seiner älteren Schwester stand. Noah ist mehr, wie ich in dem Alter war.«
»Ich war völlig verklemmt«, gestand Stifter.
»Bist du heute noch.« Kyra rieb ihm kumpelhaft über den Arm. »Aber ganz lieb dabei.«
»Danke.« Es sollte ironisch klingen, aber der Tonfall warihm verrutscht, denn Stifter konnte nicht verhehlen, dass ihn Kyras Urteil getroffen hatte.
»Ich habe gedacht, du und Noah, ihr seid doch ein ganz gutes Team. Ihr könntet euch um die Getränke kümmern. Ihr holt beim Luckner ein paar Kästen Bier und Limo. Der vermietet auch Gläser. Ich mach euch eine Liste. Du kannst mein Auto haben. Hast du überhaupt einen Führerschein?«
Stifter bejahte. Kyra hatte bereits alles durchdacht und geplant, er musste lediglich ihren Anweisungen Folge leisten, was ihm nur recht war.
»Es kommen auch ein paar Singlefrauen.« Kyra grinste breit, während sie sich den letzten Schluck aus der Flasche ins Glas goss.
»Kein Bedarf, aber danke.« Stifter war jetzt peinlich berührt. Hoffentlich kam sie nicht auf die Idee, ihn verkuppeln zu wollen.
»Warum nicht? Du bist im besten Alter.«
»Ich hab mich letztes Jahr verliebt.« Stifter dachte an Annika. An ihre wasserhellen Augen, die weiche Haut, die kleinen Leberflecken auf ihren Armen. Und an alles andere leider auch. »Es ist nicht gutgegangen.«
Zum Glück ließ Kyra seine Bemerkung unkommentiert. Sie zog lediglich die Brauen nach oben und trank ihr Glas mit einem Zug aus.
»Du wirst dich auch so amüsieren.« Sie stand auf und blickte auf ihn herab. »Gute Nacht, Johannes.«
»Gute Nacht.« Er sah ihr hinterher, wie sie, in ihre Stola gewickelt, ins Haus ging, und dachte, dass Andreas wirklich das große Los gezogen hatte.
*
Sie war vollkommen durchgeschwitzt. Die Strickjacke hatte sie längst ausgezogen, sie trug nur eine dünne Kittelschürze, aber das Wasser lief in Bächen an ihrem Körper herab. Harald hatte sie dazu verdonnert, das Haus zu putzen, alle Bereiche, mit denen Julius in Berührung gekommen war. Im Keller hatte sie begonnen, beim Gefangenen, der kein Wort zu ihr gesagt hatte. Den Grießbrei hatte er bereits aufgegessen, und sie hatte ihm noch einen Teller von der Rote-Bete-Suppe hingestellt, um ihn zu besänftigen. Sie wollte nicht, dass er mit ihr redete, Fragen stellte. Und tatsächlich hatte er nur einmal den Mund aufgemacht. Aber das hatte gereicht, um sie in Angst und Schrecken zu versetzen. »Werde ich jetzt gemästet, Frau von Rechlin?«, hatte er sie gefragt, und sie war schockiert, dass er ihren Namen kannte. Früher oder später hätte sie sich ihm sowieso offenbaren müssen, nämlich dann, wenn er zu ihren Gunsten die Papiere unterschreiben sollte, aber noch war es nicht so weit gewesen, und es war ihr ein Rätsel, wie er ihr auf die Spur gekommen war. Sie hatte Beate im Verdacht, aber Harald war dabei gewesen, als diese im Keller gewesen war, und er schwor Stein und Bein, dass Beate keinen Namen genannt hatte. Und Heims hatte sie nie gesehen, sie hatte lediglich schriftlich mit ihm verkehrt. Nur Volkmar war persönlich nach Frankfurt gefahren, um den Deal mit diesem Mann klarzumachen. Die sichere Kapitalanlage mit gigantischer Rendite.
Gudrun wischte sorgfältig das Treppengeländer mit dem feuchten Tuch ab. Jede Ritze der gedrechselten Streben wurde geputzt, man konnte nie wissen. Ihre schweißigen Finger juckten in den Gummihandschuhen. Aber es gab kein Entrinnen, keine Gnade. Sie traute sich nicht, aufzuhören und morgen weiterzumachen, sie hatte Respekt vor Haralds deutlichenAnweisungen. Es hatte gleich nach dem Kaffee angefangen. Sie hatte Harald gesagt, dass er in den Garten gehen
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