Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
solle, um das Grab für Julius weiter auszuheben. Vielleicht war ihr Ton zu schroff gewesen, und sie hatte es an der nötigen Demut fehlen lassen. Aber er hätte nicht so heftig reagieren müssen. Er hatte mit beiden Händen flach auf den Tisch geschlagen, und vor Schreck war sie zusammengezuckt, so dass ihre Kaffeetasse zu Boden gefallen und zerbrochen war. Harald hatte ihr bittere Vorhaltungen gemacht, dass sie ihn über das, was ihn hier in Lohdorf erwartete, im Unklaren gelassen hatte. Dass sie ihm weder von einer Leiche erzählt hatte, noch dass sie von ihm erwartete, dass er den Mann im Keller tötete. Er hatte ihr vorgeworfen, dass sie keinen Plan hatte, sondern sich zur Gänze darauf verließ, dass er ihr alle unangenehmen Dinge aus dem Rücken schaffte. Selbst sei sie nicht bereit, etwas dafür zu tun, dass die Dinge geregelt würden, geschweige denn, dass sie eine vage Vorstellung hatte, wie es nun weitergehen solle. Gudrun hatte sofort erkannt, dass jedes Widerwort, das sie ihm gab – und sie fand, dass sie darauf durchaus ein Recht hatte –, die Situation nur weiter eskalieren lassen würde. Stattdessen schwieg sie. Weil sie wusste, dass sie so auf Dauer mehr erreichen würde. Sie hatte den Kopf gesenkt und darauf gewartet, dass das Gewitter vorüberzog. Was es auch tat. Haralds Wut war so schnell verraucht, wie sie gekommen war. Entschuldigt jedoch hatte er sich nicht, aber er hatte ihr Anweisungen erteilt. Während er im Garten die Grube aushob, sollte sie im Haus jede mögliche Spur von Julius beseitigen. Das Auto, welches Beate am Novalisplatz gesehen hatte, war das größte Problem, aber wenn es erst einmal verschwunden war, würde man das als Hirngespinst einer verzweifelten Frau abtun können. Es warjedenfalls nicht ratsam, dass Harald den Jetta tagsüber wegfuhr, sie hatten beschlossen, dass er das Auto in der Nacht holen und erst einmal in Gudruns unbenutzter Garage parken sollte. Gudrun hatte den Autoschlüssel in Julius’ Mantel gefunden und war froh gewesen, dass er ihn nicht in der Hosentasche getragen hatte.
Der Mann im Keller ahnte wohl, warum sie wie besessen putzte. Aber das würde den Druck auf ihn erhöhen. Er musste sich im Klaren darüber sein, dass sie vor nichts zurückschreckten. Dass sie ihn nur laufen lassen würden, wenn er die Papiere unterschrieb. Jetzt schüttete Gudrun das Putzwasser in die Toilette und betätigte den Abzug. Die braungraue Brühe rauschte in einem Strudel den Abfluss hinunter. So gründlich hatte sie schon seit Jahren nicht mehr geputzt. Vielleicht seit Halina nicht mehr kam, die polnische Putzfrau. Also seit acht Jahren, seit Volkmars Tod.
Gudrun hatte nun ihren Teil der Aufgabe erledigt, sie würde in den Garten gehen und sehen, wie weit Harald war. Sie zog die Gummihandschuhe ab und wusch sich ihre Hände. Sie waren krebsrot und hatten Druckstellen, die Haut war aufgescheuert und würde ihr in den nächsten Tagen zu schaffen machen. Wunden verheilten nicht mehr so schnell, wenn man alt war. Sie nahm den Rindertalg aus dem kleinen Wandregal und rieb die Hände damit ein. Ein warmer, klarer Tropfen fiel auf ihre Hände, erst einer, dann in schnellerer Folge weitere. Sie weinte. Gudrun kniff die Augen fest zusammen, damit nicht noch mehr Tränen strömten. Keine Schwachheiten. Sie wollte die Tränen mit Macht zurückhalten, sich keine Nachgiebigkeit gönnen. Aber es gelang ihr nicht, das Wasser schoss ihr förmlich aus den Augen, und schließlich wurde sie von einem Krampf geschüttelt, der siezwang, sich hinzusetzen. Sie sank auf die geschlossene Toilette und hielt sich mit den Händen am Waschbecken fest. Dann versuchte sie, ein paarmal tief Luft zu holen, bis sie sich endlich beruhigt haben würde. Sie fühlte, wie erschöpft sie war. Und nicht nur das, sie war das alles so satt. Ihres Lebens überdrüssig. Ihre Schultern waren zu schwach, dieses und Annettes Leben zu stemmen. Die Verantwortung für die nichtsnutzige Tochter zu tragen. Warum durfte sie nicht abtreten? Im Grunde war es doch egal, ob sie das Haus verlor oder nicht, wenn sie ohnehin nicht mehr lange darin leben konnte. Warum musste sie so verdammt zäh sein? Warum war es ihr nicht erlaubt, sich jetzt, wo es nichts mehr gab, für das es sich zu leben lohnte, einfach ins Bett zu legen und einzuschlafen? Nach Volkmars Tod hatte sie geglaubt, dass der Kampf um ihr Vermögen ihr Stärke und Lebensmut zurückgeben würde. Sie hatte sich an dem Entführungsplan festgebissen, weil sie nicht
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