Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Außerdem hatte der Zyklop ihn unerbittlich fixiert, und der Blick hatte ihm zu verstehen gegeben, dass er nichts Falsches sagen sollte, sonst würde er es bitter bereuen.
Aber was ihn wirklich gekillt hatte, war das gewesen, was die Frau zu dem Zyklopen gesagt hatte, als sie den Keller verlassen hatte: »Das hat Julius ihm angetan.« Da hatte er gewusst, wer ihn gefangen hielt. Und warum. Zu diesem Namen hatte er kein Gesicht, aber eine Verbindung. Dr. Julius Klinger, eines seiner Opfer. Das war also der eine Alte gewesen, der, der schon tot war. Dann konnte die alte Frau nur die Witwe Rechlin sein, ihr Mann hatte den Fonds damals bei ihm erworben. Unwillkürlich musste er lächeln. Es war gut, seinen Gegner zu kennen. Noch dazu, wenn es ein so schwacher war.
*
Sie mussten warten, bis es dunkel war, um die Schubkarre mit Julius aus dem Gebüsch zu holen. Das Grab hatte Harald bereits ausgehoben. Er hatte es tagsüber ausheben können, denn es würde nicht weiter auffallen, wenn neben ihren Gemüsebeeten noch eine weitere Furche entstand. Dessenungeachtet konnte man diesen Teil des Gartens von außen kaum einsehen, sie hatte den Platz für die Beete damals mit Bedacht gewählt. Als wenn sie es geahnt hätte.
Sie hatte Harald beim Graben beobachtet. Er hatte es kaum geschafft, das Grab tiefer als einen halben Meter auszuheben. Das war natürlich zu niedrig, Julius musste mindestens eineinhalb, wenn nicht gar zwei Meter in die Tiefe versenkt werden. Nur dann konnte sie gefahrlos Zwiebeln und Samen in die Erde stecken und später die Ernte einfahren.
Harald würde dieses Jahr neunzig werden. Noch immer war er groß und stark, aber er war in den fünfzehn Jahren, die sie sich nicht gesehen hatten, auch gebrechlicher geworden, das sah Gudrun jetzt. Er hatte heute Julius die Kellertreppe hochschleppen müssen. Dann sollte er das Grab ausheben, den Toten hineinlegen und alles wieder zuschütten. Außerdem hatte sie von ihm verlangt, dass er den Gefangenen unter Druck setzen sollte. Sie begriff, dass sie vielleicht zu viel von ihm verlangt hatte. Als sie ihn in Ungarn angerufen hatte, war nur die Rede von dem Gefangenen gewesen. Sie hatte ihm ihre Notlage geschildert und ihn gebeten, ihr dabei zu helfen, dass der Mann seine Unterschrift unter ein paar Papiere setzte. Den Toten im Keller hatte sie wohlweislich verschwiegen. Harald wäre sonst nicht gekommen. Vorhin, als sie ihm Kartoffeln und Eier gebraten hatte, hatte er sie darauf angesprochen. Er war ungehalten gewesen und hatte ihr bittere Vorwürfe gemacht. Dass sie ihn unter falschen Voraussetzungen hergelockt hatte. Dass es für ihn gefährlich sei, sich in Deutschland aufzuhalten. Er hatte gedacht, dass er herkommen, den Mann unter Druck setzen und nach getaner Arbeit wieder fahren werde. Von einer Leiche sei nie die Rede gewesen. Außerdem hatte er ihr unterschwelligzu verstehen gegeben, dass er glaube, sie habe Julius getötet, um sich das gesamte Vermögen des Bankers allein unter den Nagel zu reißen. Natürlich hatte Gudrun schon den Gedanken gehabt, dass der Tod von Julius Klinger eine günstige Auswirkung auf die mögliche Höhe ihres Erlöses hatte, aber dann hatte sie den Gedanken verworfen und Julius’ Anteil Harald versprochen. Gestern hatte er das noch ausgeschlagen, aber heute, nachdem er die Arbeit mit der Leiche hatte, hatte er sich doch bereit erklärt, das Geld zu nehmen.
Gudrun stand von ihrem Küchenstuhl auf, nahm den Melitta-Filter aus Steingut und setzte ihn auf die Kanne. Harald hatte sich hingelegt, er wollte, dass sie ihn weckte, wenn es dunkel genug war. Sie sah aus dem Fenster. Noch zog sich ein schmaler rötlicher Streifen über den Horizont. Der Regen hatte aufgehört. Jetzt, zu Abend, klarte es auf, und morgen würde ein weiterer schöner Spätsommertag beginnen. Plötzlich erinnerte sich Gudrun daran, dass jetzt Wies’n-Zeit war. Und wie so oft herrschte gerade dann in München besonders schönes Wetter. Die Stadt zeigte sich von ihrer bezauberndsten Seite. Vor vielen Jahren, als noch niemand auf die Idee gekommen war, in den Zelten nackt auf den Tischen zu tanzen, war sie mit Volkmar gerne auf die Wies’n gegangen. Sogar ihr Dirndl hatte sie noch irgendwo. Volkmar hatte ihr Komplimente gemacht, dass ein Dirndl ihre weibliche Figur besonders gut zur Geltung bringe, aber sie hatte sich im Gegenzug immer ein wenig für ihren Mann geschämt, der mit seiner mickrigen Statur einfach nur lächerlich ausgesehen hatte. Trotzdem hatte
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