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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Weber
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bekam oder wann etwas zu essen. Wobei es in den letzten Tagen aufwärtszugehen schien. Zumindest seit die Alte nicht mehr alleine für ihn zuständig war. Genau genommen, seit dieser Rentner vor seinen Augen gestorben war. Er versuchte den Gedanken abzuschütteln. Er wollte die Bilder des Todeskampfes des alten Mannes nicht vor Augen haben. Es war schrecklich gewesen, und er würde es niemals vergessen können.
    Er hob die Augen und versuchte krampfhaft, ein Thema zu finden, über das er sich mit ihr unterhalten konnte. Das würde ihn ablenken. Und ihre Beziehung vertiefen. Er war weit gekommen mit ihr. Sie nannte ihn Hans, sie brachte ihm zu essen und zu trinken, sie hatte ihm versichert, dass sie versuchen werde, ihn zu befreien, und heute hatte sie sich sogar schön gemacht für ihn. Wenn er die Augen zukniff und ausblendete, dass sie Alkoholikerin war, war der Anblick auf die Entfernung sogar passabel.
    »Das Brot ist herrlich!«
    Sie nickte und lächelte. »Ich hatte nichts anderes mehr im Haus«, gab sie zu, »morgen geh ich einkaufen.«
    Morgen, morgen , dachte er, morgen will ich frei sein und nicht essen, was du für mich einkaufst, Schlampe.
    »Das ist nicht nötig«, sagte er laut. Dabei schob er ihr den Teller hin, nahm einen Schluck Wasser und streckte sich. Er war noch immer mit nichts anderem bekleidet als dem weißen Handtuch um seine Lenden, und er genoss seine Nacktheit. Es war wie damals, als er in Ulan Bator gewesen war. Er hatte dort Geschäfte gemacht und war von seinen Partnern zum Abschluss des Deals in eine Schwitzhütte eingeladen worden. Die Jungs, allesamt Amerikaner, waren New-Age-Freaks gewesen und hatten einen mongolischen Schamanen aufgetan, der sie durch die Zeremonie geleitete. Obwohl er mit Esoterik nichts am Hut gehabt hatte, war er doch für alle bewusstseinserweiternden Experimente offen und hatte sich nicht dagegen gesperrt. Und tatsächlich war er am Ende der erschöpfenden Zeremonie so sehr mit sich im Reinen, seinem Geist und seinem Körper gewesen, dass er sich gefühlt hatte wie ein Gott. Wie einer, dem alles gelingen würde. Der schaffen konnte und vernichten. Und obwohl die Umstände seiner Gefangenschaft alles andere als bewusstseinserweiternd waren, obwohl er erniedrigt wurde, fühlte er, wie er in den letzten Tagen wieder auf den Trip kam. Ganz ohne Koks. Er meditierte, er machte seine Gymnastik, er litt nicht unter den Entbehrungen, und seit der Waschung fühlte er, wie geil sein Körper war. Er konnte die Ketten sprengen. Weil er Macht auf die Menschen ausüben konnte. Der Alte war schließlich gestorben, bevor er ihn foltern konnte. Und die Frau da drüben an der Wand würde er bald da haben, wo er sie haben wollte: Sie würde seine Fesseln lösen und ihn in die Freiheit entlassen.
    Er musste sie angelächelt haben, als er seinen Phantasien nachgehangen hatte, denn sie erwiderte seinen Blick, verzückt und geschmeichelt. Oder hatte er laut gesprochen, ohne eszu merken? Noch während er darüber nachdachte, was sie dazu brachte, ihn derart entrückt anzublicken, stand die Frau abrupt auf, ging zu ihm, umschlang ihn mit ihren Armen, setzte sich auf seinen Schoss und stieß ihm ihre Zunge in seinen Mund.

18.
    Sie lag mitten auf dem Weg. Stifter konnte gar nicht anders, als zu bremsen, denn über den toten Körper zu brettern, das hätte er nicht fertiggebracht. Ohne Zweifel war es das Krötenweibchen, das er vor einigen Tagen aus der Sonne gerettet hatte. Jetzt lag es platt und breit mitten auf dem Kiesweg im Wäldchen.
    Er stieg vom Fahrrad und bückte sich zu der toten Kröte hinunter. Ihm wurde schlagartig schlecht. Ob es die Betroffenheit über den Tod der kleinen gelbgefleckten Amphibie war oder der schwarze Kaffee, von dem er während der morgendlichen Arbeit in der Poststelle erneut zu viel getrunken hatte, konnte er nicht sagen. Aber er spürte, dass er wütend und traurig zugleich über die Tatsache war, dass jemand dieses Wesen achtlos überfahren hatte. Ob das mickrige Männchen noch lebte, das die weibliche Kröte auf dem Buckel getragen hatte? Auf keinen Fall wollte er den Kadaver auf dem Weg liegen lassen, er hätte den Gedanken nicht ertragen können, dass weitere Räder gedankenlos über den kleinen Körper gerollt wären. Stifter suchte sich ein großes Stück Baumrinde und bugsierte den flach gedrückten Kadaver mit Hilfe zweier Äste darauf. Dann schlug er sich abseits des Weges in den Wald und sah sich nach einem würdevollen Platz für das tote

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