Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
habe ich nichts gesagt«, wandte Stifter ein. Thalmeier schwieg. Ob er sich so leicht in die Ecke drängen ließ? Aber der Alte hatte offenbar nur nachgedacht, denn jetzt bat er Stifter darum, ihm das Kennzeichen des Mercedes zu besorgen. Er wollte es über freundschaftliche Kanäle überprüfen lassen. Stifter sagte ihm das zu, brach das Gespräch dann aber mit dem Hinweis auf seine von Kyra angeordnete Erledigung ab und verabschiedete sich von Thalmeier bis Freitagabend, dem Tag der Überraschungsparty. Thalmeier hatte die Einladung gerne angenommen, und Stifter wusste nicht recht, ob er sich darüber freuen sollte. Er fühlte sich in Thalmeiers Gegenwart stets wie unter polizeilicher Beobachtung.
Stifter steckte sein Handy in die Hosentasche und ging zur Einfahrt, wo Noah bereits mit laufendem Motor auf ihn wartete. Er saß noch auf dem Fahrersitz von Kyras altem Volvo-Kombi und spielte wie ein Kind an allen Hebeln und Schaltern herum. Stifter bat ihn, auf den Beifahrersitz zu rutschen, und nahm selbst hinter dem Steuer Platz. Der Wagen fuhr sich wie ein Schiff, und Stifter, der nur sehr selten die Gelegenheitwahrnahm, Auto zu fahren, konzentrierte sich voll auf die Straße. Er wechselte kein Wort mit Noah, der ebenfalls keinen Wert auf Kommunikation zu legen schien und durch seinen Haarvorhang auf die Straße starrte. Der »Luckner« war kein Getränkegroßmarkt, sondern eine alte Scheune im Nachbardorf, die bis unters morsche Dach mit Getränkekisten vollgestopft war. Harry Luckner selber, ein rothaariger Kiffer und Surffreak Ende dreißig, hatte das Geschäft bereits von seinem Vater übernommen und damit auch die ewig gleichen Sprüche und Witze, mit denen er seine Kunden bei Laune hielt. Mit Noah und Stifter ließ es sich heute allerdings schlecht scherzen, also luden die drei Männer mehr oder weniger schweigend den Kombi mit Bierkästen, Spezi und einer Alibikiste Rotwein voll. Stifter ließ anschreiben, so wie Kyra es ihm aufgetragen hatte, und trat mit Noah den Rückweg an. Während der gesamten Aktion war er mit seinen Gedanken woanders. Er ließ die Bilder der letzten Zeit Revue passieren: Annette von Rechlin, die betäubt auf ihrer Kosmetikliege lag. Ihre Mutter, die kein Mitleid mit ihrer Tochter kannte, sie stattdessen anklagte und offensichtlich verachtete. Dafür aber, wenige Tage später, humpelnd und mit Gesichtsverletzungen im Garten zu sehen war. Ihn giftig vertrieb, wie sie ohnehin keine Fremden in der Nähe ihres Hauses zu dulden schien. Die fremde Frau, die Einlass begehrt hatte und die von der alten Rechlin erst empfangen wurde, als er und Thalmeier sich dem Haus genähert hatten. Der Greis mit dem erblindeten Auge, der aus Ungarn kam, zu den Rechlins wollte und dort im Garten arbeitete. Das große Stück frisch bearbeiteter Erde im Garten, das die Alte plötzlich eifrig bepflanzte, das aber noch in der Nacht zuvor eine tiefe Grube gewesen war, in die Noah hineingefallen war. All diese Bilder,die nun vor seinem geistigen Auge vorüberzogen, waren für sich genommen kein Anlass, ein Verbrechen zu wittern. Aber in ihrer Gesamtheit, zusammen mit einem unguten Bauchgefühl, das ihn heimsuchte, wenn er vor der düsteren Villa stand, erzählten diese Bilder eine böse Geschichte.
Stifter stieg abrupt in die Bremsen. Er war noch nicht wieder vor dem Haus der Familie Lanz angekommen, und so sah Noah überrascht zu ihm hinüber.
»Was is?«
Stifter horchte auf das beruhigende Tuckern des Motors. Er spürte sein Herz plötzlich bis in den Hals hinauf schlagen und tat ein paar tiefe Atemzüge, bevor er sich Noah zuwandte.
»Ich hab noch mal darüber nachgedacht, Noah.«
Der Blick des Teenagers verdunkelte sich, weil er erwartete, dass nun die üblichen Belehrungen folgten, die er sich seit dem Vorfall von allen Erwachsenen hatte anhören müssen.
»Ich glaube dir.« Stifter hielt Noahs Blick mit seinem fest. »Es ist völlig irre, und kein anderer vernünftiger Mensch wird es glauben. Aber vielleicht hast du recht. Das heißt nicht, dass ich glaube, dass eine Leiche in der Schubkarre lag. Aber dass in dem Haus dort etwas vor sich geht, das … seltsam ist, das kann schon sein.«
Noah triumphierte nicht. Aber in seinen Mundwinkeln zeigte sich die leichte Andeutung eines Lächelns. »Fährst du mich noch zum Luki hoch?«, erkundigte er sich.
Stifter nickte und wendete den schweren Wagen.
*
Auf einem kleinen Zettel hatte sie sich die Bankverbindung notiert, nun sah sie ratlos auf ihre mit
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