Postkarten
ihr schwarzer Wachstuchregenmantel stand vom Busen bis zum Schienbein offen wie die Flügel eines Käfers, der zum Fliegen ansetzt. Ihre Stiefelabsätze schleuderten schlammige Kieselsteine gegen ihre Waden. Die Postkarte zeigte die in den Lake Champlain hineinragende Red-Rocks-Landzunge. Der Raum zum Schreiben war mit einer kleinen, trotz der Schreibfehler sehr leserlichen Druckschrift ausgefüllt. Die Antwort war so ernst, wie ihr eigener Brief gewesen war. Die Erlen hinter dem Briefkasten waren schwarz vor Nässe, zerrissen den Himmel.
Am Samstag morgen um neun trocknete Mernelle die Haferflockenschüsseln ab und überlegte, was sie Jewell sagen sollte. Der Spülstein strömte den gewohnten Geruch aus. Sie hätte sagen können: »Ich verschwinde von diesem Spülstein.« Oder: »Soll ich hier vielleicht versauern?« Ihre Kleider lagen bereit. Der blaue Rock, ein dunkles Lilablau, das vom Hängen an der Leine kaum verblichen war, und die weiße Bluse mit den Perlenknöpfen in Form von winzigen Herzen. Sie hatte eine Zitrone beiseite gelegt; wenn sie ihr Haar wüsche, würde ihm der Zitronensaft im Spülwasser einen Rotton verleihen. »Feuerschöpfchen«, flüsterte sie und dachte an einen Film. Sie könnte sagen: »Du und Dad, ihr habt gelebt wie die Schweine.
Ich möchte ein hübsches Zuhause wie Mrs. Weedmeyers, die die Drecksbude der Batchelders auf Vordermann gebracht hat. Eine Dusche mit Glastür. Teppiche. Silberbesteck mit Rosen an den Griffen und dazu passendes Geschirr mit blauem Rand und goldenem Streifen.«
Es war bereits zu kompliziert, als daß man es Jewell noch hätte erklären können, es so hätte formulieren können, daß Jewell einsehen würde, daß sie fortmußte, um jeden Preis. Schließlich blieben nur zwei dumme Sätze übrig: Daß sie mit einem Unbekannten fortging, und der Unbekannte war jemand, der über die Zeitung eine Frau gesucht hatte. Sie konnte Jewells Mop auf der Treppe hören und einen Transporter, der sich den Hügel heraufquälte. Onkel Ott, der noch mehr Geräte oder Ausrüstung für seinen neuen Besitz brachte. Vor zwei Tagen hatte er einen Bulldozer hergefahren, ein ungeschlachtes, schlammverschmiertes Ding, das wie Truthähne kollerte, wenn man ihn anließ. Er rollte von der Ladefläche des Lasters ins ungemähte frische Gras und stand schnaubend mitten unter dem Löwenzahn, der ebenso gelb war wie er.
»Ich möchte bloß wissen, was er damit vorhat«, sagte Jewell. »Er behauptet, er will Mais anbauen. Ich hab’ noch nie erlebt, daß ein Bauer einen Bulldozer benutzt, um zu pflügen oder zu säen. Loyal würde’nen Anfall kriegen, wenn er das Ding auf der Wiese sähe.«
Vom Tor her drang das laute Echo des leerlaufenden Motors, Schritte auf der Veranda und ein Klopfen. Also doch nicht Ott, der sein Leben lang die Tür aufgemacht hatte.
»Hallo. Ich suche Mernelle Blood.« Eine feste Stimme, ein hartnäckiger Unterton.
Sie hörte Jewells Mop auf der Treppe innehalten. Die Hitze des Maimorgens sickerte durch die Fliegentür, der Geruch nach Gras und weißen Blüten drängte an der Gestalt auf der anderen Seite des Gitters vorbei herein. Sie erkannte seine Haltung vom Foto in der Zeitung wieder. Ein Luftstrom wehte in die Küche, erfüllte sie mit dem Geruch von falschem Jasmin und den stinkenden Abgasen des im Hof stotternden Autos. Durch die Fliegentür sah sie Fliegenschwärme über den Zweigspitzen der Weichselkirsche schwirren, geschwungenes blaues Metall.
»O herrje, ich bin nicht fertig. Ich hab’ mir die Haare noch nicht gewaschen.«
»Ich hab’s nicht bis zum Nachmittag ausgehalten«, sagte er. »Ich hab’s nicht ausgehalten.« Die Fliegentür schepperte leise unter seiner zitternden Hand.
Jewell, die von der Treppe her lauschte, konnte sich das meiste zusammenreimen.
20
Der flaschenförmige Grabstein
Er hielt ihr die Wagentür auf, und sie glitt auf den Sitz hinter der Fahrerin, einer korpulenten Frau mit teefarbenen, feuchten Augen und grauem Haar, das sich in Lockenkaskaden über ihren Rücken ergoß.
»Das ist Mrs. Greenslit. Sie ist die Reporterin vom Trumpet , die die Geschichte geschrieben hat.«
»Sagen Sie einfach Arlene zu mir. Jawoll, ist meine Geschichte, und ich bleib’ dran. Ihr zwei Küken seid Gäste vom Trumpet - aber in Maßen. Dazu gehört das Essen heute abend und ein Kinobesuch, und Miss Blood, es stört Sie doch nicht, wenn ich Mernelle zu Ihnen sage, oder, Sie können umsonst bei mir wohnen, bis ihr zwei Küken seht, wie
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