Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)
Arbeit. Seit über drei Jahren rackerten sie sich nun gemeinsam ab.
David und Dickie gehörten zur Nachtschicht der Stahlhütte in Bath. Zwei von 1300 Männern, die in zwei Etappen rund um die Uhr arbeiteten, um die Maschine der Aegis, des absoluten Elite-Kriegsschiffs der USA, zu bauen und zu montieren. Die Aegis galt als wendiges, schnelles Schiff, das trotzdem über ein komplexes Spektrum hoch entwickelter modernster Waffentechnik verfügte. Von der Küste Taiwans bis zum Persischen Golf fuhren über 800 Zerstörer der Aegis-Klasse unter amerikanischer Flagge auf den Weltmeeren umher.
David bog mit dem silberfarbenen Ford F-150 auf einen Parkplatz ein, direkt neben der riesigen modernen Industriehalle und den Trockendockanlagen der Stahlhütte, Maines größter Arbeitgeber, der bedeutendste Produzent von Kriegsschiffen in den USA, eine Tochtergesellschaft von General Dynamics, einem der Giganten der US-Rüstungsindustrie.
Sie gingen hinein, steckten ihre Stechkarten in den Schlitz neben der Tür und liefen den langen abgetrennten Gang zur Männerumkleide entlang. David öffnete seinen Spind und streifte den verschlissenen Overall über. Wie immer herrschte Enge in dem kleinen Verschlag. Diese Erfahrung hatte David schon vor langer Zeit gemacht.
Er meldete sich beim Schichtführer und machte da weiter, wo die letzte Schicht aufgehört hatte. Mit seinem Kollegen von der Tagschicht teilte er sich die Aufgabe, eine der riesigen, speziell angefertigten Pleuelstangen zu formen, aus denen in einigen Monaten die Antriebswelle des Kriegsschiffes zusammengesetzt wurde. Er begutachtete die Fortschritte, die Tim tagsüber erzielt hatte. Er kannte Tim. Dieser lieferte exzellente Arbeit ab. David fühlte sich verpflichtet, so hart wie möglich zu arbeiten und sein handwerklich Bestes zu geben – vor allem für Tim, aber auch für die Stahlhütte, seinen Brötchengeber. Er empfand die Verpflichtung, es Tim gleichzutun und ebenfalls Qualität abzuliefern, um seinen Teil der Abmachung zu erfüllen. Er ließ die Hände über den 1,80 Meter langen Stahlzylinder gleiten und nickte vor sich hin. »Heute Nacht«, dachte er, »werde ich den Sechserschaft fertig schleifen. Es ist ja schon fast so weit. Tim wird Augen machen!«
Nachdem David den Bandschleifer von der Größe eines Toasters eindreiviertel Stunden lang gegen den Stahlstab gepresst hatte, ließ er den Schalter los. Er setzte Helm und Schutzmaske ab, zog die Handschuhe aus und nickte Mark Jonas, dem Vorarbeiter, zu. Er musste mal aufs Klo.
David ging zur Toilette. Diese befand sich in der Mitte der Halle. Wie zufällig schaute er auf den Boden. Alle Kabinen waren leer. Er betrat den vierten Verschlag, zog die Tür hinter sich zu, hakte die Verschlüsse seines Overalls auf und ließ ihn herunterrutschen. Die Unterhose ebenfalls. Sollte ihn jemand von den Waschbecken oder den Urinalen aus beobachten, sah es so aus, als hockte David auf der Toilette.
Doch er richtete seinen Blick nach oben. Na bitte, dachte er. Es hatte fast ein ganzes Jahr gedauert, bis er eine geeignete Stelle gefunden hatte, die unter keinen Umständen jemand entdeckte. In der Ausbildung hatten sie ihm beigebracht, den Spind zu benutzen. Aber das funktionierte hier nicht. Das war ihm vom ersten Tag an klar gewesen. Also hatte er improvisieren müssen.
Er stellte sich auf die Klobrille, hob die Arme und drückte die quadratische Deckenfliese nach oben, bis sie frei über dem schmalen Aluminiumrahmen auf seinen Händen ruhte. Vorsichtig drehte er sie, so wie er es seit über zwei Jahren mindestens einmal die Woche tat. Als sie kippte, ließ er sie langsam herab. Dann setzte er sich. Anschließend griff er nach unten, ertastete den ansehnlichen, mit Klebeband unter seinen Hoden befestigten Klumpen und zog mit einem schnellen Ruck das Band ab. Zum Vorschein kam ein Häufchen einer weichen Masse, deren Farbe ins Graue ging, gespickt mit kleinen, harten Stückchen, die aussahen wie orangefarbene Glassplitter.
David wusste, worum es sich handelte. Er hatte gelernt, damit umzugehen. Den Zünder zu präparieren. Vor seinem geistigen Auge lief noch einmal der Film über die Explosion ab. Der Film, den sie allen zeigten, mit der Detonation im Labor. Octanitrocuban. Einen Moment lang starrte er auf das Zeug und fügte es dann dem Haufen hinzu, der mittlerweile die Größe eines kleinen Kissens angenommen hatte. Zuletzt überprüfte er den Zünder. Der befand sich noch immer an Ort und Stelle; zwei
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