Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)
Staaten bereit, ihre Produktion zu erhöhen und, wichtiger noch, diese Überproduktion auch an die Vereinigten Staaten zu liefern? Hier ist die Lage deutlich komplizierter. Capitana hat über neun Prozent der Ölvorräte Amerikas gefördert, mit steigender Tendenz. Wir müssen nicht nur die Analyse durchführen, sondern hinter den Kulissen bei jeder Maßnahme mit dem State Department und dem Weißen Haus zusammenarbeiten. Sollten zum Beispiel Venezuela, Saudi-Arabien oder andere nicht gewillt sein, uns zu helfen, müssen wir diese Entwicklungen in Echtzeit in unsere Prognose einfließen lassen.«
»Und wie lauten die bisherigen Erkenntnisse?«
»Im Kern geht es um Saudi-Arabien und Venezuela. Fangen wir mit Venezuela an. Wenn die wollen, könnten sie ihre Lieferungen bis Mitte Januar um eine Million Barrel auf 1,5 Millionen Barrel pro Tag erhöhen. Die bunkern alles. Das entscheidende Hindernis ist politischer Natur. Die müssten noch nicht einmal ihre Produktion erhöhen, lediglich den Umfang der Lieferungen.«
»Verstehe«, sagte Stebbens, die sich eifrig Notizen machte.
»Die OPEC hingegen verfügt über keinerlei Vorräte. China saugt die Araber regelrecht aus. In den letzten sechs Monaten überbot Sinopec die US-Versorger durchgängig um bis zu zehn Dollar pro Barrel. Sie übernahmen einen anständigen Vorrat und machten ihn für die OPEC, insbesondere den Iran, zu Geld. Davon abgesehen wäre es für sie aber ein Leichtes, die Förderung zu erhöhen. Allein Saudi-Arabien könnte einen Großteil der durch die Zerstörung von Capitana entstandenen Fehlmengen ausgleichen.«
»Okay«, meinte Stebbens. »Nun zu den rückblickenden Aktivitäten?«
»Wir nehmen Angebot und Nachfrage auf dem Erdöl-Sektor während der letzten drei Jahre unter die Lupe«, sagte Griffin. »Wenn Sie sich das zweite Blatt anschauen, so viel kann ich vorwegnehmen, werden Sie auf einige interessante Fakten stoßen.«
»Fahren Sie fort«, sagte Stebbens.
»Das erste Schlüsselergebnis besteht darin, dass Capitana hier in den USA BP schadet. Ansons Anteil am US-Markt vervierfacht sich von Jahr zu Jahr, während der Anteil von BP beinahe proportional dazu im Sinkflug begriffen ist.«
»Demnach ist BP also ein Opfer von Capitanas Wachstum?«
»Die Verluste am US-Markt konnte BP durch Gewinne in Europa mehr als ausgleichen. Sie haben ihre Vormachtstellung auf der europäischen Bühne ausgebaut. Überraschenderweise hat ihnen die sinkende Nachfrage in den USA nicht geschadet.«
»So langsam wird die Sache interessant«, meinte Stebbens und schaute auf das Schriftstück.
»Saudi-Arabien dagegen wurde gleich an zwei Fronten getroffen«, sagte Griffin. »In Europa wurde Aramco von BP verdrängt. Bis dato ihr größter Wachstumsmarkt, dort konnten sie sich mit ihren Spekulationen austoben. Vor vier Jahren stagnierte dieses Wachstum und ist seither stetig rückläufig. In gewisser Hinsicht erscheint Aramcos Schwerpunktverlagerung nach China als kluger Schachzug. So gleichen sie die Verluste in Europa aus. Aber wenn Sie sich mal das Diagramm vier vornehmen, stellen Sie fest, dass die bei den Transportkosten nach China ganz schön drauflegen. Im Grunde schmälern sie ihren Gewinn pro Barrel um fast 40 Prozent. Das ist, ganz gleich, wie man es betrachtet, eine dramatische Entwicklung.«
»Aber noch schlimmer«, warf ein jüngerer Mann mit braunem Haar und Brille ein, »ist der Ausverkauf der Vorräte. Die geschätzten Grundkosten des Ghawar-Ölfelds sind so immens hoch, dass sie um jeden Preis weiterfördern müssen. Laut unserer Analyse verkaufen die Saudis ihre Lagervorräte, damit sie nicht Teile des Ölfeldes schließen müssen. Sie befinden sich in einem schwierigen negativen Produktionszyklus.«
Sekundenlang herrschte Schweigen.
»Wollen Sie damit sagen, Saudi-Arabien habe unter Capitanas Aufstieg am meisten zu leiden?«, fragte Stebbens.
»Für diese Aussage ist es noch zu früh«, meinte Griffin. »Wir müssen noch Unmengen von Daten analysieren.« Er hielt inne, setzte seine Brille ab und legte sie vor sich auf den Tisch. »Aber, ja. Die Saudis haben sich über den Aufstieg von Capitana bestimmt nicht gefreut.«
»Und inzwischen sind sie die Einzigen, die die Ausfälle hier bei uns auffangen können?«
»Das ist richtig.«
»Wie sieht es mit der Stromversorgung aus?«, fragte sie mit einem Blick auf eine junge Frau japanischer Abstammung. Libby Coolidge, quasi Griffins Gegenstück für den Bereich Elektroenergie.
»Ich werde
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