PR 2540
beraubt. Oder wussten sie von vornherein, dass und wann Amethyst-Stadt weiterziehen würde? War die Fertigstellung ihres riesigen Wespenschiffes womöglich der Auslöser dafür? Hatten sie es von Anfang an einkalkuliert?
Fragen über Fragen, auf die wir keine Antwort finden können, weil wir zu wenig wissen. Ohnehin sind uns die Jaranoc ein Rätsel. Was mag in diesen Kriegern vor sich gehen? Kann man überhaupt denken wie sie? Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr man dazu neigt, die eigene Art zu leben als absolut anzusehen, obwohl der Kosmos uns jeden Tag das Gegenteil lehrt.
Ist es den Jaranoc vielleicht völlig gleichgültig, wo und wie sie leben, weil sie ihr Dasein auf das eines Soldaten reduzieren, der nicht an ein Morgen denkt?
Dagegen spricht, dass es Icho Tolot während des letzten Vorstoßes gelungen ist, eine Art Kontakt zu einem Anführer der Jaranoc aufzubauen, ohne ein Wort mit ihm zu sprechen. Der Haluter berechnete die Reaktion des anderen im Voraus, und offenbar handelte dieser genauso. Nur deshalb, wegen dieser erstaunlichen Übereinstimmung zweier Lebewesen, die einander nie persönlich getroffen haben, konnte ein schlimmeres Blutbad vermieden werden.
Besitzt dieses Geschehen aber irgendeine Bedeutung für das Hier und Jetzt? Oder haben sich die Regeln inzwischen geändert? Was ist aus dem Wespenschiff geworden, nachdem es unsere Riegel-Kuppel durchdrungen hat? Wird es zurückkehren? Holt es Verstärkung? Hat es das Stardust-System verlassen? Wie sollte ihm das möglich sein, angesichts des Schleiers, der unser Sonnensystem umgibt und abriegelt, genauso wie die Jaranoc unter dieser Kuppel abgeriegelt sind?
Eigenartig, wie sich die Dinge ähneln. Was für die Jaranoc im Kleinen gilt, gilt für uns im Großen. Nur dass es für uns keine Bedrohung darstellt – zumindest nicht in einem solch direkten Maß. Dennoch sind wir wohl genau wie die Jaranoc von Feinden umzingelt. Der Schleier, durch eine der Kartuschen in der Halle der 1000 Aufgaben aktiviert, entstand in letzter Sekunde, ehe die Kristallschiffe eindringen konnten.
Doch dies ist nicht das Problem, mit dem ich mich beschäftigen muss. Darum sollen sich andere kümmern.
Schon wieder fange ich mich in einem Netz aus Fragen. Stärker als früher neige ich zum Grübeln. Nun, ein Laster muss der Mensch schließlich pflegen. Wenn ich schon nicht mehr zu Depressionen und Wahnvorstellungen neige ...
Ich kann mir das Lächeln nicht verkneifen, als mir dieser Gedanke kommt. Das hätte Rus gefallen.
Die Erinnerung an meinen toten Ehemann, dessen Leben ich nicht retten konnte, schmerzt weiterhin, aber es ist anders als noch vor Kurzem. Sie vermag mein Leben nicht mehr zu bestimmen, ist nicht mehr das allgegenwärtige Zentrum, das jede meiner Entscheidungen, letztlich jeden meiner Schritte lenkt.
Meine Schritte lenken. Das ist das Stichwort.
Wir verlassen den Antigravschacht. Icho Tolot tritt hinter mir in den Korridor an Bord der ACHILLES. Das Flaggschiff der dritten Stardust-Raumlandedivision ist außerhalb der Absicherung gelandet. De facto bildet das Schiff momentan das Hauptquartier der Stardust-Gesamtflotte – erst recht, wenn man bedenkt, dass sich Admiral Kraton Furtok persönlich an Bord befindet.
Nur wenige Meter entfernt übrigens.
Aber das versetzt mich nicht in Unruhe. Nicht mehr. Inzwischen weiß ich, dass auch er nur ein Mensch ist. Sogar er.
Während sich vor mir das Schott öffnet, frage ich mich, ob das für den Mann neben Furtok auch gilt. Administrator Timber F. Whistler – ist er wirklich nur ein Mensch?
Es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass ich ihm gegenüberstehe, aber diese Frage habe ich ihm nie gestellt. Natürlich nicht. Wie könnte ich es wagen? Damals, während unseres ersten Treffens in Sandiors Bar , erschien er menschlicher als menschlich sozusagen – aber was bedeutet das schon?
Ich verliere mich in meinen Gedanken. Mal wieder. Hoffentlich wird das nicht tatsächlich mein neues Laster. Zumindest nicht zu sehr. Man sollte es nicht übertreiben.
*
Wir sitzen an einem runden Tisch, und ich komme mir deplatziert vor. Trotz all meiner Erlebnisse und obwohl ich weiß, dass ich hierher gehöre, kann ich mich dieses Gefühls nicht erwehren.
Ich sehe es als Schicksal an – oder als Berufung. Wo es eines Tages hinführen wird, weiß ich nicht. Warten etwa größere Aufgaben auf mich? Ausgerechnet auf mich?
»Die Jaranoc bereiten sich auf einen Ausbruch vor!« Icho Tolots Worte dröhnen durch den
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