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PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse

Titel: PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
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bei verdunkeltem Bildschirm und vorgetragen in toten Sprachen.
    Einen Moment länger, und er hätte seinen Geist aufgegeben und sich in dieser Explosion von unsinnigen Sinneseindrücken verloren.
    Da erreichte er mitten im Strom der Eindrücke eine Insel. Eine Handbreit Land im Chaos. Er blickte sich um. Die Landschaft war fremdartig. Zweifellos sah er die Oberfläche eines Planeten, und zweifellos war dieser Planet von einer einheimischen Intelligenz geformt und gestaltet worden.
    Aber es war eine Welt, wie Menschen sie nicht besiedelt hätten. Und die Bauwerke waren alles andere als menschlich.
    Andererseits erschien ihm alles so bekannt, als hätte sein Ich sich in ein zweites Bewusstsein gekleidet, das von allem, was dort war, wusste, dem alles urvertraut war.
    Ein hiesiges Bewusstsein, in dem er dachte. Er befand sich über den Terrassen von Chapoch, auf der Tagesseite von Chaom.
    Shamsur Routh schaute über den Kanal. Es war ein prächtiger Tag. Die Sonne stand längst nicht im Zenit. Ihr Licht ergoss sich wie weiches Glas über die Welt, und die Pflanzen, üppig und geil, schöpften die elektromagnetische Kraft.
    Routh sah die Flaneure an der Promenade des Kanals, der Uferbank, die von den Skulpturen gesäumt war. Viel junges Volk, viele Kinder, wahre Wildfänge, das ungestüm wuselnde Chaos des aufblühenden Lebens. Die Greise dagegen bewegten sich mit der Bedachtsamkeit von Schattenboxern. Wenn eben möglich, zogen sie den Aufenthalt in den flachen Pfuhlen vor, die in regelmäßigen Abständen auf der Promenade zu sehen waren.
    Ob Kind, ob Greis, niemand blieb ungehütet. Die Bonnes wachten über sie, diskret und mit nie erlöschender Beflissenheit.
    Bonne, dachte Routh. Wieso kommt mir gerade dieser archaische Name für Kindermädchen in den Sinn?
    Manche Bonne hatte sich auf die Spur eines Kindes gesetzt, das ihr anvertraut war. Sie folgte seinen Sprüngen, als hielte ein gemeinsames magnetisches Feld sie zusammen. Machten sich nicht manche Sprösslinge einen unschuldigen Spaß daraus, ihre Bonne abzuhängen, sich hinter einer Skulptur zu verbergen, ja auf der Skulptur herumzuturnen? Jedenfalls war da ein Johlen und Jauchzen, eine große Freude bei jedem Fluchtversuch.
    Hin und wieder trieb einer der kindlichen Irrwische es zu weit, geriet ins Stolpern und taumelte. Aber schon war die Bonne herangerückt, fing ihn sacht auf und stellte ihn mit milder Ermahnung auf die sechs Beine. Da zeigte es sich, dass es nicht minder das Spiel der Bonne gewesen war als das Spiel des Kindes: Selbstverständlich hatte nie eine Gefahr bestanden, zu stürzen oder sich gar den ledrigen Unterbauch und den Bodenmund zu verletzen.
    Routh sah, dass nicht alle Bonnes sich ihren Schutzbefohlenen wie Trabanten angehängt hatten. Manche von ihnen hockten in den Körben beieinander, die auf den Dächern der Laternen schwankten wie Blüten im Wind.
    Routh fragte sich, was sie miteinander schwatzen mochten. Schwatzten sie überhaupt, oder fanden sie allein in der körperlichen Nähe zueinander eine stille Befriedigung? Jedenfalls ließen sie auch von dort ihre Schützlinge nicht aus den Augen.
    Routh konnte also ganz beruhigt sein. Er tippte die Menüfunktion im Tisch an. Das Holofeld in der Tischplatte leuchtete auf. Routh strich mit der Fingerkuppe über die Bilder und wechselte sie so.
    Aber er fand nichts, was seinen Appetit geweckt hätte.
    »Ich kann dir auch nichts raten«, sagte der Mann, der ihm gegenübersaß. Routh war sich seiner Gegenwart bis eben nicht bewusst gewesen. Der Mann strich eine schwarze Haarsträhne hinters Ohr und lächelte Routh entschuldigend an.
    »Kennen wir uns?«, fragte Routh.
    »Das ist ein interessanter Ort, nicht wahr?«, überging der Mann die Frage. »Ich habe hier etwas wie eine neue Heimat gefunden. Ich bin Kulturdiagnostiker. Sagt dir das etwas?«
    Routh nickte. »Kulturdiagnostiker erforschen und deuten fremdartige Kulturen, ihre Mythen, ihre Artefakte, ihre kulturellen Exponate und so weiter.«
    Sein Gegenüber nickte anerkennend. »Richtig. Ich könnte mir keinen lohnenderen Ort vorstellen als diesen. All diese Bonnes – sind sie nicht eine herrliche Plage? Was würden die Menschen in Terrania sagen, wenn es dort von solchen Kindermädchen wimmelte? Von Kindermädchen für Kinder aller Altersklassen – ist dir das aufgefallen?«
    Routh schwieg.
    Der Mann sagte: »Der ganze Platz schmeckt förmlich nach Sicherheit, nach Schonung.«
    »Was ist schlecht daran?«, fragte Routh. »Ich finde,

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