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PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse

Titel: PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
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du dir das vorstellen? Schon ein normales menschliches Gehirn mit seinen tausend Milliarden Nervenzellen bildet eine Billiarde Synapsen. In diesem Sediment vervielfältigen sich diese Verbindungen noch einmal, potenzieren sich. Die Gehirne werden ein großes neuronales Ganzes. Sie werden zu einem Totenhirn.«
    Routh schüttelte den Kopf. »Das klingt grauenvoll.«
    Cranstoun schaute ihn verblüfft an: »Was sollte daran grauenvoll sein? Ich bin zu Bewusstsein gekommen. Ich bin, obwohl ich mein Leben verloren habe. Das findest du grauenvoll?«
    »Entschuldige. Ich kann es kaum beurteilen.«
    »Aber sicher kannst du es beurteilen! Das Kontinuierliche Sediment ist kein Depot für Gehirnmasse. Es erschafft sein eigenes Universum: nicht aus Materie, sondern aus Erinnerung – ein Mnemoversum. Du befindest dich doch in diesem Mnemoversum. Fäll dein Urteil: Ist es grauenvoll?«
    Routh schaute über die Terrassen. Das alles, diese ganze Welt, war also nicht real, sondern eine bloße fremde Erinnerung.
    Er überlegte, welchen Anteil Puc daran hatte, dass ihm diese Erinnerung so gegenwärtig und leibhaftig erschien. Er wollte sich nicht in diese Scheinwelt verlieren. »Wie komme ich wieder heraus? Kannst du mir helfen?«
    »Das weiß ich nicht«, murmelte Cranstoun. »Ich habe eine Weile gebraucht, um mich in diesem Erinnerungsraum zu orientieren. Man kann hier nicht einfach jemanden fragen, weißt du? Alle Jemande überlappen sich mit anderen Jemanden, tauschen ihre Erinnerungen aus, und mit ihren Erinnerungen verschmelzen ihre Identitäten.«
    »Auch deine?«, fragte Routh. Es ist wie mit mir und Puc!
    »Puc?«
    »Du kannst meine Gedanken belauschen?«
    Routh spürte, wie ihn eine Welle warmer Heiterkeit umspülte, gespickt mit eisigen Partikeln Schadenfreude. »Hier bist du nichts anderes als deine Gedanken! Aber du bist eben deine Gedanken, nicht meine Gedanken. Deswegen vermute ich, dass ich weiterhin ich bin: mit dem großen Ganzen schon verbunden, aber noch nicht eins mit ihm. Sicher kann ich mir nicht sein. Vielleicht verändere ich mich jederzeit. Andererseits«, er setzte ein Lächeln auf, das beinahe jungenhaft wirkte, »verändert sich nicht jeder Mensch jederzeit mit jeder neuen Erinnerung?«
    »Das ist Philosophie«, wehrte Routh ab.
    »Natürlich spüre ich, dass ich anders bin, dass mein Gedächtnis andere Inhalte hat als das der Favadarei oder Fato'Fa. Ich schaue mich um; ich suche; ich nehme Kontakt auf zu dieser oder jener Region im Totenhirn.
    Manches kommt mir bald vertraut vor, manches so fremd, dass ich zurückschrecke. Ich bin informiert worden: Irgendwo ganz am Rand, hoch oben, fast noch an der Oberfläche der Zeit, sei etwas aufgetaucht, vage und schattenhaft, aber es ähnele doch mir. Ein Mensch?, frage ich. Ja, womöglich. Eine zerebrale Signatur, die meiner zum Verwechseln ähnlich sehe. Für einen Moment fürchte ich: Das ist mein Bruder Aiden. Er ist verrückt genug, mir nachzufolgen ins Kontinuierliche Sediment. Aiden und ich, wir sind Zwillinge. Wir haben eine ziemlich einzigartige Beziehung zueinander unterhalten.«
    »Nämlich welche?«
    Routh spürte, wie Cranstoun zögerte und naheliegende Gedanken ungedacht ließ. »Es ist gut«, sagte er. »Du musst es mir nicht sagen.«
    »Niemand muss hier etwas sagen«, erwiderte Cranstoun. »Du merkst ja: Man wird nicht ins große Ganze gezwungen. Auch ich werde nicht genötigt. Es ist eine besondere Zeit. Man kümmert sich nicht weiter um mich. Man hat andere Wissbegierden. Man ist alarmiert. Etwas geschieht, etwas tut sich. Man vernimmt einen Ruf wie von außen. Es ist, als werde das Totenhirn aus einem äonenlangen Schlummer geweckt.«
    »Das Universale Spainkon«, vermutete Routh. »Ein Informationsnetz der Sayporaner. Über dieses Spainkon stehe ich überhaupt in Verbindung mit dir. Es versucht, sich dieses Totenhirn zu erschließen.«
    »So? Möglich«, sagte Cranstoun. »Aber warum bist du hier?«
    »Hier?« Routh lachte verzweifelt. »Ich bin nicht hier. In Wirklichkeit befinde ich mich auf Gadomenäa, in der Stadt Anboleis. Dort, wohin meine Tochter entführt worden ist. Die Sayporaner haben sie geholt. Sie haben Zehntausende Kinder und Jugendliche aus dem Solsystem verschleppt und ins Weltenkranzsystem gebracht. Hier werden sie psychisch neu formatiert. Sie werden auf neuromanipulative Weise geistig zu Sayporanern gemacht.«
    »Wozu?«, wunderte sich Cranstoun.
    »Die Neuformatierten sollen, wie ich vermute, die Statthalter der Sayporaner

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