PR 2646 – Die Tage des Schattens
driftete sie in Nachbilder ab. Wolken, Bäume, Nester ...
Die Suchtgefahr war ihr bewusst. Noch drohte sie den Bezug zur Realität nicht zu verlieren. Noch konnte sie eine klare Trennlinie zwischen Wach- und Schlafphasen ziehen.
Aber die Verlockung wuchs. Immer öfter ertappte sie sich dabei, dass sie lieber in ihren geliebten Designer-Träumen zu Hause sein und bleiben wollte. Sie waren ganz einfach perfekter, stringenter, bei aller Komplexität weniger kompliziert als das wirkliche Leben.
Die Tür öffnete sich. »Bitte, tritt ein, Regierungssprecherin!«
Phaemonoe stand auf, seufzend.
*
Der gar nicht so heimliche Herrscher der Welten des Solsystems begrüßte sie und teilte ihr mit, dass der 15. November mittlerweile als Termin für die Rückkehr der ersten Neuformatierten feststünde.
»Wie schön«, kommentierte Phaemonoe sarkastisch. »Dann wird sich ja schlagartig alles zum Besseren wenden.«
»Spotte nicht. Ich erhoffe mir tatsächlich, dass sich danach die Lage allmählich beruhigt.«
»Ziemlich optimistisch nach dem Eklat in der Waringer-Akademie.«
»Dieser unglückliche Vorfall macht es uns nicht leichter«, gab Marrghiz zu. »Umso entscheidender wird sein, wie wir das Ereignis der Ankunft inszenieren. Das Konzept, das du mir vorgelegt hast, bietet sehr gute Ansätze, finde ich. Einige Details sollten allerdings noch geändert werden.«
Phaemonoe nickte. »Zu Diensten.«
Bei der Erstellung des Konzepts hatte sie ganz schön mit sich gerungen. Es war eine Sache, als Sprachrohr einer wie auch immer legitimierten Regierung zwischen dieser und den Medien zu vermitteln – jedoch eine völlig andere, den Invasoren Tipps zu geben, wie die Bevölkerung am geschicktesten zu manipulieren wäre.
Nun handelte es sich eben nicht mehr um einen »ganz normalen Job«. Keine Rede mehr von professioneller Ausgewogenheit: Phaemonoe hatte sich auf die Seite der Usurpatoren geschlagen.
Konnte sie vor sich selbst moralisch vertreten, zur Komplizin zu werden? Indem sie Marrghiz Ratschläge gab, die ihm halfen, seine Regentschaft zu festigen und also die Unterjochung der Terraner zu vervollkommnen?
Schlussendlich hatte sie sich mit einem recht laschen Argument gerettet: Ein Rücktritt von ihrem Posten brächte nicht viel, da ein Nachfolger rasch gefunden wäre.
Sie kannte ihre Kollegen aus der Journalistenbranche. Ruck, zuck hätte sie eine lange Liste all derer erstellen können, die ihr die Nähe zur Macht neideten und ohne vergleichbare Skrupel ihren Platz einnehmen würden.
Kurz gesagt: Wenn sie es nicht tat, tat's eben jemand anderer.
Phaemonoe Eghoo war selbstkritisch genug, um zu wissen, dass es sich dabei um eine Ausrede handelte, die wohl so alt war wie die Menschheit; wahrscheinlich älter.
*
»Im Prinzip schlägst du vor«, sagte Marrghiz, »eine Art Volksfest zu veranstalten. Mit vielen Beteiligten, jedoch ohne großartige Zeremonie.«
»Richtig. Keine Ehrenkompanien, Roboterparaden, über die Stadt rauschende Raumschiffe oder sonstiger Bombast. Überhaupt wenig sichtbares Militär. So etwas erfreut sich nach wie vor einer gewissen Beliebtheit, in diesem Zusammenhang wäre das jedoch ein ganz falsches Zeichen.«
»Festlich, aber familiär«, zitierte Marrghiz aus ihrem Datenkristall.
»Ja. Ich hatte ursprünglich an eine Megashow gedacht, beispielsweise im Magellan-Stadion oder in der Whistler-Arena, mit einem ähnlichen Rahmenprogramm wie bei populären Sportereignissen. Mitwirkende Künstler fänden wir zweifelsohne genügend.«
Die meisten Popstars sind Huren ohne Rückgrat, dachte Phaemonoe. Wie ich ...
Aber diesen Gedanken behielt sie für sich. Stattdessen sagte sie: »Davon bin ich aber wieder abgekommen. Ein Massenauflauf, und sei es an einem noch so positiv beladenen Ort, das Geschehen konzentriert auf eine einzige Bühne ... Im konkreten Fall hätte das immer den Anschein von Zwangsbeglückung. Verkündigung von oben herab, verstehst du?«
»Nicht ganz«, gestand Marrghiz lächelnd. »Bitte klär mich auf: Was kann daran falsch sein, wenn eine frohe Botschaft feierlich offenbart wird?«
»Kann super sein, klar. Sofern zwischen allen Beteiligten prinzipielle Einigkeit herrscht. Du hingegen kämpfst gegen ein Misstrauen an, das durch die Ereignisse der letzten Tage nicht unbedingt geringer geworden ist.«
»Ich hatte mich schon gewundert, warum du im Rahmen der Feierlichkeit keinerlei Ansprachen vorgesehen hast.«
»Weil die ganze Geschichte privat gehalten werden
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