PR 2646 – Die Tage des Schattens
sammelten und erneut hochwallten. Eine ganz eigenartige, fast magische Faszination ging von dieser Fläche aus, die zugleich zwei- und vieldimensional wirkte, zugleich statisch und in absoluter Bewegung.
Schick gemacht, dachte Phaemonoe anerkennend, wenngleich mit professionellem Abstand. Kein Zweifel, die Auguren wissen, wie man beeindruckende Effekte hervorruft.
Abgebrüht, wie sie war, nahm sie keine Sekunde lang an, das berückende Gewölk und Geflacker wären funktionsbedingt. Klappern gehörte nun mal zum Handwerk, und im Zweifelsfall galt immer die eherne Regel: klotzen, nicht kleckern.
Oder, wie an der Pinnwand fast jeder Redaktion zu lesen stand: »Dezenz ist Schwäche.«
»Das Transit-Parkett beginnt zu arbeiten«, raunte Phaemonoe betont trocken in das Mikrofeld ihres Dokutaphs. »Pünktlich auf die Minute. Wir alle hier genießen den Moment. Dies ist die Stunde der Wiederkehr, der Augenblick der Wahrheit. Werden die Sayporaner ihr Versprechen halten?«
*
Das dunkelviolette Leuchten verdichtete sich zu einer blendend hellen Aureole, aus der – endlich! – Gestalten traten.
Menschen.
Aber nicht nur.
Neben und zwischen ihnen entfalteten sich äußerst fremdartige, definitiv nichthumanoide Formen zu beachtlicher Größe: flache und doch raumfüllende Wesen, wie riesenhafte Origami-Figuren aus einem ungemein leichten Baustoff. Sobald sie, den Terranern vorausschwebend, ins Freie gelangten, wurden sie vom Wind angehoben und segelten sehr anmutig, betörend schön durch die Lüfte.
Insgeheim gluckste Phaemonoe. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie soeben in Dutzenden Regieräumen von Nachrichtensendern die Redakteure hektisch mit den Bildmeistern stritten, worauf das Hauptaugenmerk zu richten sei.
»Bleib auf den Heimkehrern, verdammt!«
»Aber diese Flatteriche sehen viel besser aus ...«
Sie selbst justierte ihre Optik wieder auf die Begegnungsinsel der Ybarris. Dort, spürte Phaemonoe Eghoo mit jeder hart erkämpften Narbe ihrer Erfahrung, dort spielte die Musik.
*
Mit Befriedigung, aber auch einem Hauch von schlechtem Gewissen stellte sie fest, dass der Schachzug, den sie gemeinsam mit Marrghiz und Riordan ausgeheckt hatte, voll aufging.
Es sah ganz danach aus, als würde die emotionale Qualität des Bildmaterials zu ihrer vollsten Zufriedenheit ausfallen. Die Angehörigen der Neuformatierten konnten gar nicht anders, als vor Erleichterung und Freude zu strahlen.
Auch die Ybarris begrüßten einander herzlich. Während Tuulikki mehr Merkmale von ihrem Vater geerbt hatte, ähnelte Anicee ihrer Mutter stark. Das ovale Gesicht mit den hohen Jochbeinen, die langgliedrige Figur ...
Allerdings fiel Phaemonoe eine Veränderung in Anicees Wesensart auf. Obwohl sie Terra erst vor wenigen Wochen verlassen hatte, wirkte sie auf undefinierbare Weise anders. Älter.
Gereifter.
Ein Beobachter, der es nicht besser wusste, hätte sich schwer getan zu sagen, welche der beiden Frauen die Mutter und welche die Tochter war.
»Schön, dass du wieder da bist«, sagte Henrike. »Du kannst dir vorstellen, dass wir uns große Sorgen gemacht haben.«
»Zu Unrecht. Aber ja, es freut mich ebenfalls, wieder auf Terra zu sein. Schließlich ist es meine Ursprungswelt.«
»Deine Heimat welt.«
»Freilich. Ich habe allerdings inzwischen gelernt, dass ein Mensch mehrere Heimaten haben kann.«
»Ist das so?«
Anicee beschirmte mit der Hand die Augen, obwohl der Pulk der Kunstsonnen nicht gerade blendende Helligkeit abgab. »Schon bald werdet ihr mich besser verstehen. Die Zeit der Missverständnisse neigt sich ihrem Ende zu, und eine neue Zeit wird eingeläutet.«
Die Erste Terranerin presste die Lippen aufeinander. Offensichtlich verkniff sie sich eine Entgegnung, um die Harmonie nicht sogleich wieder zu zerstören.
Es musste ihr im Herzen wehtun, ihre Tochter ähnlich salbungsvoll nichtssagend reden zu hören wie die Auguren.
*
Abrupt, als sei es ihr in diesem Moment eingefallen, sagte Anicee: »Ich werde eine kurze Ansprache halten.«
»Du?« Das war Henrike Ybarri vor Überraschung herausgerutscht. »Ich meine ... ja natürlich, wenn du willst, warum nicht ...«
Anicee trat einen Schritt zur Seite und hob die Hand. »Ich möchte etwas sagen, allen hier Versammelten. Kann man meine Stimme entsprechend verstärken? Oh – danke!« Der letzte Halbsatz war bereits am ganzen Platz zu hören gewesen.
Zwanzig Meter über Anicee baute sich ein Hologlobus auf, wie er in Sportstadien
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