PR 2663 – Der Anker-Planet
verlangte sie.
Er widersprach nicht.
Wie könnte er auch.
Und noch eine Tatsache überraschte den Xylthen: Es ließ sich nicht leugnen – obwohl das fremde Etwas, das QIN SHI auf diffuse, unbestimmte Art ähnelte, in ihm steckte, blieb er doch er selbst. Er war nach wie vor Kaowen, der Protektor, der Kriegsherr, der über keinen Ersatzklonkörper mehr verfügte und sich deshalb vor dem Tod und dem ewigen Erlöschen ängstigte.
Genau dieser Kaowen begriff mit einem Mal, was Shikaqin bedeutete.
Dieser Planet war so viel mehr, als er zu sein schien – noch mehr als das!
Nicht nur, dass er lebte.
Nicht nur, dass er als mysteriöses Zentrum einer umgekehrten Anomalie mitten im hyperenergetischen Chaos diente.
QIN SHI hatte eine sehr starke Affinität zu dieser Welt, war mit ihr verbunden. Die Superintelligenz verließ Chanda zwar – und doch blieb ein Hauch von ihr zurück, eine minimale Präsenz, ein geistiger Abdruck der unfassbaren geistigen Macht.
»Du bist ... hier«, sagte Kaowen in die Stille der Zentrale hinein. Noch immer rührte sich keiner der anderen Offiziere.
Mit der Erkenntnis wich das nebelartige Etwas aus ihm.
Er zitterte.
*
Zeit verging, in der Kaowen nichts tat, außer sich zu erinnern.
An QIN SHI und sein Gesicht.
An die Flucht der Superintelligenz, die sie einen Eroberungsfeldzug nannte.
An die Offenbarung und die Erkenntnis des Shikaqin.
An die Präsenz in ihm und die sich wandelnden Augen.
Grün und blau und rot und schwarz schauten sie ihn an und schnitten durch sein Fleisch, trennten Mark und Bein. Wieder aufs Neue und immer noch und doch nur in seiner Erinnerung.
Zwischen all diesen Gedanken blitzte in Kaowen eine Frage auf, die mehr und mehr seiner Aufmerksamkeit auf sich zog, bis er schließlich nur noch um sie kreiste.
Wer bin ich?
Er hatte geglaubt, es zu wissen, doch nun wusste er, dass er erst am Anfang einer weiten Reise zur Erkenntnis stand. Wohin sie ihn führen würde, lag im Dunkeln.
Wer war er mit QIN SHI – und ohne die Superintelligenz? Dieselbe Person? Oder nur ein Schatten dessen, der er zu sein glaubte? Wie konnte er wirklich vollständig werden?
Wie wirkte sich das Dasein in Klonkörpern auf sein Bewusstsein aus? Bestimmten sie es? Formte jeder neue Leib ihn um? War er nicht mehr ... echt, seit er seinen Originalkörper verlassen hatte? Diente es ihm also zum Besten, dass nun alle Ersatzkörper vernichtet waren, weil sein Ich nicht mehr wandern konnte? Musste deshalb sein Ziel darin bestehen, seinen Originalleib auf Xylth zu finden und wieder zu beziehen wie das einst verlassene Elternhaus?
Je mehr er nachdachte, umso zahlreicher wurden die Fragen, und sie drohten ihm den Verstand zu rauben. Gleichzeitig weckten sie etwas in ihm, was er bislang nicht gekannt hatte. Eine Ebene seines Selbst, von der er nicht gewusst hatte, dass sie existierte.
So dachte Protektor Kaowen über eine Frage und einen Befehl nach, die sich ergänzten und zugleich widersprachen. Wer bin ich? – Gehorche mir!
Er wägte beides ab wie einen kostbaren Schatz, als der Erste Offizier in der Zentrale wieder zu sich kam. Er hörte ein Stöhnen, dann zuckte einer der Arme, die neben der Arbeitsstation herausragten.
Im nächsten Moment stemmte sich ein fahlweißes Gesicht über der Eingabefläche in die Höhe, ehe der Offizier stand, sich plötzlich zusammenkrümmte und würgend erbrach. Ein Reinigungsroboter huschte heran. Ein braungrauer Faden rann dem Xylthen über das Kinn.
»Wir wecken die anderen«, sagte Kaowen.
»Was ist geschehen? Ein Angriff?«
»Nein.« Der Protektor erhob sich. Sein Kommandantensessel wippte kaum merklich nach. »Ich habe inzwischen alle Aufständischen rund um das Shikaqin vernichtet. Es droht keine Gefahr mehr.« Dass er mit diesen Worten die Wahrheit zurechtbog, störte ihn nicht im Geringsten.
»Alle Aufständischen?«, entfuhr es dem Offizier. »Protektor, es ...«
»Sie sind vernichtet«, unterbrach Kaowen. »Wir verlieren kein Wort mehr darüber und wecken die Übrigen.«
Er orderte Medoroboter in die Zentrale und wies weitere Einheiten an, sich in der ganzen RADONJU um die Ohnmächtigen zu kümmern.
Er ließ sich sogar dazu herab, sich selbst über einen der Reglosen in der Nähe zu beugen. Mit einem Hauch von Sorge schaute er Lekaor ins Gesicht, einem der dienstältesten Soldaten unter seinem Befehl. Er diente ihm als Stellvertreter, dem er zu verschiedenen Gelegenheiten sein Flaggschiff anvertraut hatte, etwa wenn er sich um
Weitere Kostenlose Bücher