PR 2673 – Das 106. Stockwerk
wertvoller erschien ihm allerdings dieses Lineal, vermutlich war niemals eine größere Stückzahl gefertigt worden.
»Und nun?«, fragte er.
Fydor Riordan hörte ihm gar nicht mehr zu. Mit der anderen Hand hatte er sich den kleinen zylindrischen Behälter für die Anspitzabfälle genommen. Fydor rollte den Behälter hin und her und sah scheinbar fasziniert zu, wie Grafit und ein hauchdünner breiter Holzring immer weiter zerbröselten.
Im nächsten Moment hielt Riordan inne, legte das Lineal auf den Zylinder und balancierte es aus.
Aus seiner Jackentasche zog er unterschiedlich große metallisch glänzende Münzen. Nach und nach platzierte er die Münzen auf den schmalen Enden des Lineals – eine Konstruktion, die zwar deutlich schwankte, sich am Ende aber, als keine Münze mehr auf dem Tisch lag, völlig im Gleichgewicht befand.
Burnett merkte erst jetzt, dass er angespannt zugesehen hatte. Er schüttelte den Kopf.
»Und nun?«, wiederholte er. »Warum hast du ausgerechnet mir das alles anvertraut? Ich fürchte, die Konsequenzen sind eine Nummer zu groß für mich.«
Riordan lächelte vage. Es hatte den Anschein, als gerate das ausbalancierte Lineal ins Schwanken; der Tin-Man hob die Hand, brauchte aber nicht einzugreifen.
»Wir kennen uns lange genug, Flemming. Ich schätze deine Verlässlichkeit. Du drängst nicht ungestüm vorwärts wie mancher andere und übersiehst dabei, was rechts und links neben dir liegt. Du bist vielmehr geduldig, kannst darauf warten, dass sich die Dinge entwickeln, selbst dann, wenn du weißt, dass deine Hoffnungen womöglich falsch sind.«
»Ist das alles? Steht das Psychogramm in meiner Personaldatei?«
»Unsinn«, erwiderte Riordan heftig. »Ich glaube allerdings, dass Leccore dich unterschätzt hat. So, wie du ihn als harmlosen Medo-Assistenten falsch eingeschätzt hast, hat er dich zum Nostalgiker abgestempelt.«
Mit einer knappen Kopfbewegung deutete er auf den historischen Schreibtisch und die vielen eigentlich überflüssigen Utensilien. »Für ihn warst du gut als Kybernetiker und Koko-Interpreter, aber das allein reichte ihm nicht für eine Beförderung. Als der falsche Leccore seine Stelle einnahm, blieb ihm natürlich nichts anderes übrig, als diese Fehleinschätzung zu übernehmen.«
Burnett presste die Lippen zusammen. Das klang ... überzeugend.
»Wenigstens wissen wir, was Sache ist«, sagte er. »Solltest du ... sollten wir nicht umgehend einige unserer Agenten informieren? Was können wir schon allein gegen die Koda Ariel ausrichten?«
Riordan schwieg. Noch einmal fasste er in seine Jackentasche. Diesmal brachte er eine kaum daumennagelgroße Schatulle zum Vorschein und öffnete sie.
Eine winzige Figur lag in der Schatulle, sie war keinen halben Zentimeter groß. Burnett erkannte sofort, um was es sich handelte. Deshalb verstand er auch nicht, wie ihm geschah, als Riordan das Figürchen mit einer Art feinen Pinzette anhob und es ihm auf die Hand legte.
Es war eine der berühmten, unglaublich wertvollen Statuen von Uis Moshoeshoe, einem siganesischen Künstler aus dem zweiten Jahrhundert NGZ. Moshoeshoe hatte seine Statuen aus hartem siganesischem Hasparcoin-Steinholz geschlagen und eigenhändig koloriert.
Burnett hob die Hand so weit vor Augen, bis er jedes Detail zu erkennen glaubte. Dabei war ihm klar, dass er die wirklichen Feinheiten erst mit einem Vergrößerungsfeld würde betrachten können.
Die Statuette war wunderschön – ein Traum für einen Sammler wie ihn. Mehr als ein Traum sogar. Für eine solche Figur waren nicht wenige bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Die Statue zeigte einen altterranischen Samurai, eigentlich einen Bushi. Sie war eine der Figuren aus dem legendären Set »Sieben Samurai«, komplett mit den beiden Schwertern, dem langen Katana und dem Wakizashi, die stets gemeinsam und mit der Schneide nach oben im Gürtel getragen worden waren.
Moshoeshoe hatte sich in allem an die historischen Vorbilder gehalten. Die Figur war außerdem mit dem Yumi-Bogen bewaffnet, und sie trug Brustpanzer und Helm – das alles so lebensecht, dass Burnett fast darauf wartete, der Winzling würde sich bewegen. Jeder, der die Statue genau in Augenschein nahm, musste diesen Eindruck haben. Die Sashimono, die an der Rüstung angebrachten Standarten mit den Feldzeichen des Lehnsfürsten, vervollständigten dieses perfekte Werk.
Burnett bewunderte den Winzling schweigend, bis er das Gefühl hatte, die Statue schon eine Ewigkeit zu
Weitere Kostenlose Bücher