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PR 2690 – Der fünfte Akt

PR 2690 – Der fünfte Akt

Titel: PR 2690 – Der fünfte Akt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc A. Herren
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Blut.«
    HOFNARR, verwirrt: »Ich verstehe nicht. Wenn es kein Blut gibt, kann es auch kein Leben geben.«
    GEGENWART: »Wir verstehen deine Verwirrung, guter Narr. Niemandem fällt es leicht, an eine höhere Wahrheit als den Tod zu glauben.«
    HOFNARR: »Wer seid Ihr?«
    GEGENWART: »Wir sind die Gestalten der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Im See der Tränen existieren wir wie alle Zeiten des Reichs der Harmonie.«
    VERGANGENHEIT, hinzufügend: »Einst waren wir wie du: voll des Lebens, gefangen in nur einer Zeit. Gefangene waren wir aber auch in unseren Konflikten, in unserem ureigenen Kampf.«
    HOFNARR: »Von welchem Kampf sprecht Ihr?«
    VERGANGENHEIT: »Jeder verfolgte seine eigene Queste: die Suche nach dem persönlichen Glück, die Erfüllung seiner Träume und Wünsche. Lange benötigten wir, um zu verstehen, dass die Erfüllung eines jeden Glücks nicht möglich ist. Wenn zwei dasselbe wollen, entsteht ein Zwist, entsteht ein Konflikt.«
    HOFNARR: »Ist das nicht die traurige Regel des Lebens? Die Bürde vernunftbegabter Wesen?«
    GEGENWART, lächelnd: »Solch tiefe Weisheit kann nur von einem Narren kommen.«
    HOFNARR: »Ihr sprecht von Weisheit. Dabei verstehe ich nicht viel von dem, was Ihr mir erzählt. Was genau ist der See der Tränen?«
    GEGENWART: »Der See der Tränen ist der Nährboden der Harmonie.«
    VERGANGENHEIT: »In ihn verbannten wir unsere Träume und Wünsche. Die Seelen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Essenzen unseres Seins.«
    HOFNARR: »Um die Harmonie zu erreichen, habt Ihr Eure Begehren im See versenkt?«
    VERGANGENHEIT: »Und damit das Reich der Harmonie erschaffen, ja.«
    HOFNARR: »Aber müssten wir dann nicht frei von Konflikten sein? Mir scheint, dass Euer Opfer nicht für alle Zeiten gereicht hat.«
    GEGENWART: »Du sprichst von deiner unerfüllten Liebe zu der Prinzessin? Von den Machtbestrebungen des Kanzlers? Den Wünschen des alten, gebrechlichen Königs?«
    HOFNARR: »Genau von diesen. Und von meiner Rolle als Narr, der nur im Schabernack ernsthaft sein darf. Dessen einziger Dank ein Lachen und vielleicht ein Krüglein Wein sind.«
    GEGENWART: »Du hast bereits vieles verstanden, einiges noch nicht. Genau wie wir seid ihr nur Gestalten des Sees der Tränen. Projektionen des Lebens, das einst in den See einging.«
    HOFNARR: »Wir sind nicht real, sagt Ihr?«
    GEGENWART: »Nur in eurer Zeit am Hof.«
    VERGANGENHEIT, beipflichtend: »Zuvor wart ihr ein Teil des Sees der Tränen.«
    ZUKUNFT: »Und hierher werdet ihr alle zurückkehren, wie auch du zu uns zurückgekehrt bist.«
    HOFNARR: »Und das Reich der Harmonie?«
    GEGENWART: »Es ist in großer Gefahr.«
    ZUKUNFT: »Das Reich der Harmonie wird untergehen.«
    HOFNARR: »Das kann ich nicht zulassen!«
    GEGENWART: »Ein Narr will sich gegen die Zukunft stemmen?«
    HOFNARR: »Wie groß ist die Gefahr, die im Handel mit den Hohen Mächten schlummert?«
    GEGENWART: »Unendlich groß.«
    HOFNARR: »Dann muss es ein Narr sein, der sich gegen eine unendlich große Gefahr erhebt.«
    Das Mahnende Schauspiel vom See der Tränen, 4. Akt, 3. Szene (Auszug)
     
    *
     
    Riftia Juntos lächelte, während sie den Humus unter der Triffida auflockerte. Der Duft aus dem tiefroten, unterarmlangen Blütenkelch der Triffida war nicht nur schwer und süß. In ihm waren verschiedene psychoaktive Stoffe enthalten, die ihre Stimmung hoben.
    Normalerweise stellte sie die Filterfunktion am Riechnetz ihrer Maske höher, wenn sie effizient vorwärtskommen wollte. Manchmal gab sie sich aber auch dem Luxus hin, sich Zeit zu nehmen für die Triffida. Und die Pflanze dankte es ihr mit einem Ausstoß einer besonders intensiven Duftwolke.
    Die Hydroponikerin drückte auf den Hauptsensor ihres Multifunktionsgeräts, und der dreiendige Stock faltete sich auf Handspannenlänge zusammen. Juntos befestigte ihn am Gürtel und kniete sich vor der Triffida nieder.
    Sie streifte die Handschuhe ab. Vorsichtig fuhr sie mit den Fingerspitzen beider Hände über die fleischigen blaugrünen Blätter und berührte sanft den unvergleichlichen Blütenkelch.
    Über die bei ihrem Volk vorhandenen neuronalen Synapsen an den Fingerspitzen fühlte sie jede noch so feine Faser, jede Unebenheit, jede Pore der Triffida. Verzaubert schloss sie alle drei Augen und genoss das leichte Kribbeln, das die Berührung in ihren sensiblen Fingerkuppen auslöste.
    Jedes Detail ihres Kontaktes mit der Pflanze wanderte über die Nervenbahnen direkt in ihre beiden Gehirne.

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