PR 2701 – Unter der Technokruste
würde schon eine Unzahl von Fragen auf den Politiker einprasseln.
Auch im Wohnzimmer der Sipieras blieb es still. Antonin hatte genau das befürchtet; ihn erstaunte vor allem die sehr offene Reaktion des Administrators. Ob es wohl genauso berechnetes Kalkül war wie sein Äußeres?
Tamea kaute erst hektischer und warf die Shrom-Wurzel dann schwungvoll in den Mülleimer. Das übliche leise Krachen und Knacken ertönte, als der Abfall sofort zermahlen wurde.
»Ich habe mich deshalb zu einem schweren Schritt entschlossen«, sagte Earthart schließlich. »Ich habe diese Idee lange mit meinen Beratern diskutiert und bin überzeugt, das Richtige zu tun. Selbst wenn wir einmal scheitern, dürfen wir die Hoffnung nicht verlieren und vor allen Dingen nicht den Mut, entscheidende Schritte zu gehen und Neuland zu betreten. Zum ersten Mal, seit unsere geliebte Heimat in diese unerklärliche Lage geraten ist, wird ein Raumschiff starten. Es fliegt mit einer Besatzung von fünf freiwilligen Raumfahrern und einer Vielzahl an robotischer und positronischer Unterstützung. Sie sind sich des Risikos bewusst, das sie eingehen, und was auch immer geschehen mag, ich ehre jetzt schon den Mut dieser Männer und Frauen.«
Der Administrator zeigte ein zuversichtliches Lächeln, das jedoch nicht seine Augen erreichte.
Er ist nicht ehrlich, dachte Antonin. Er hat Angst. Und er hat sein Versagen nur deshalb eingestanden, um das neue Projekt anstoßen zu können, ohne dass man ihm hinterher seine alten Fehler vorhalten kann.
In der Tat, Kolin Earthart war ein schlauer Mann. Im nächsten Moment löste sich sein Abbild auf.
Das weitere Trivid-Programm interessierte niemanden in der Familie Sipiera. Sie diskutierten auch nicht über das Gesehene, wie es nun wohl an zahllosen Stellen auf Luna geschah. Man musste abwarten und es brachte nichts, die Dinge zu Tode zu reden.
Golo schaltete ab, danach aßen sie. Es musste sich zeigen, was der Abend noch brachte.
*
Zwei Tage später stand das Ergebnis des erneuten Vorstoßes fest. Und wieder überraschte es Antonin nicht.
Auch das Raumschiff der fünf Freiwilligen, deren Namen wieder und wieder in sämtlichen Medien genannt wurden, ging verloren.
Mit diesen fünfen starb die Hoffnung.
*
Aus dem Tagebuch von Antonin Sipiera, Bürgermeister von Luna City:
Tamea hat ein Faible für Zahlen. Sie kann sie sich unglaublich gut merken und stellt die verrücktesten Zusammenhänge fest. Nicht, dass sie eine besondere Mathematikerin wäre – es geht ihr eher um den Alltag. Ums tägliche Leben, die Praxis, die ihr viel wichtiger ist als irgendwelche Theorie. Wenn es jemanden gibt, der im Hier und Jetzt lebt, dann sie. Ich halte es für eine Gabe.
Ich weiß noch, wie sie zu mir sagte: »Du bist seit 26 Tagen Bürgermeister von Luna City und ...« Dabei hob sie die linke Augenbraue, wie sie es gerne tut.
»Und?«, fragte ich, ganz wie sie es erwartete.
»Und Luna hängt seit 26 Jahren im Schacht«, sagte sie.
Wir mussten lachen. Wahrscheinlich war sie die Einzige überhaupt, der solche Parallelen auffielen.
26 Jahre.
Das Leben ging weiter zu dieser Zeit, irgendwie. Das Licht der Sonne fehlte uns allen, aber verrückterweise brachte uns die wenig schöne, unmittelbare Vergangenheit vor unserer Zeit im Schacht nun einen Vorteil. Aus den Monaten des Fimbulwinters in der Anomalie wussten wir Mondbewohner, wie man mit solcher dauerhafter Dunkelheit ohne ein leuchtendes Gestirn umgehen konnte.
Außerdem genossen wir einen weiteren Vorteil gegenüber Terra – wobei ich nur hoffen konnte und immer noch kann, dass Luna der einzige Teil des Solsystems ist, der in diesem verhassten Schacht festsitzt. Ja, ich bete für all die anderen Planeten und Monde, dass wenigstens sie ihr Ziel erreicht haben. Auch wenn das heißt, dass ausgerechnet wir unglaubliches Pech hatten.
Sei es, wie es sei. Ich beneide die sonstigen Welten nicht, egal, was mit ihnen geschehen ist. Manchmal allerdings beneide ich alle auf Luna, die sublunar wohnen und diesen elenden, ewigen grau-blauen Schacht nicht ständig sehen müssen.
Ich habe sogar überlegt, in eine der Subetagen zu ziehen. Doch Tamea will es nicht und Golo genauso wenig. Was bleibt mir also übrig, als mich ihnen anzupassen? So ist das eben in einer Drittpartnerschaft: Kompromisse gehören dazu.
Aber ich schweife ab. In diesen 26 Jahren wurden eine Menge Versuche gestartet. Neue Sonden, neue Messmethoden, neues Dies und neues Jenes. Die
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