PR 2701 – Unter der Technokruste
Rechenkapazitäten der Biopositronik vermietet und auf Antrag auch kostenfrei vergeben, wenn die Argumente überzeugten. Was leider nicht immer der Fall war. Es wurde gefeilscht, es gab massenweise Behauptungen, die nicht ganz der Wahrheit entsprachen.
Das waren Probleme. Wenn ich daran denke, kann ich nur den Kopf schütteln. Lächerlich!
Und dann, endlich, begann der Rücktransfer des Solsystems in die Milchstraße ...
... und hörte nicht mehr auf.
*
»Und?«
»Nichts.«
Antonin Sipiera hatte keine andere Antwort erwartet. Wenn es Golo zwischenzeitlich gelungen wäre, Kontakt mit Terra oder irgendeinem Schiff außerhalb Lunas aufzunehmen, hätte er wohl kaum gelangweilt an seinem Arbeitspult gesessen. Er wäre aufgesprungen, hätte gejubelt, hätte ganz Luna davon wissen lassen.
Hätte, hätte, hätte.
Golo Sipiera versuchte es seit Tagen. Seit der Rücktransfer begonnen und nicht mehr aufgehört hatte. Luna trieb seitdem in einem undefinierbaren ... Raum. Wenn man es überhaupt so nennen konnte. Die Wissenschaftler machten eine Menge schwammige Bezeichnungen dafür publik, die allesamt klarstellten, dass sie sich eigentlich nur um eine konkrete Benennung drückten.
Gefilde.
Höherdimensionales Medium.
Raum-Zeit-Struktur unbekannter Zusammensetzung.
Anomalie. Schon wieder?
Nein.
Durchzusetzen schien sich etwas ganz anderes, ein simples, einfaches Wort: der Schacht.
Antonin fand diese Bezeichnung griffig. Seit mittlerweile neun Tagen, eben seit dem Beginn des geplanten Transfers, sank Luna durch diesen ewigen grau-blauen Schacht.
Die äußere Begrenzung des Gebildes war zweifellos hyperphysikalischer Natur, wenn sich auch keine genauen Werte bestimmen ließen. Gelegentlich zuckten lautlose Entladungsblitze darüber.
Niemand wusste, ob es sich tatsächlich um einen gigantischen Schacht handelte, in dem Luna immer tiefer sank. Nicht eine der zahlreichen Ortungen und Tastungen brachte verwertbare Ergebnisse.
Vielleicht war sogar der Eindruck, dass Luna sich bewegte, eine optische Täuschung. Auch Antonin sprach davon, dass der gesamte Mond sank, aber das war nicht etwa die Schlussfolgerung aus wissenschaftlichen Analysen, sondern reine Empfindungssache.
Es ging allen Mondbewohnern gleich. Hin und wieder glaubten sie, mit langsamer Geschwindigkeit in eine unbestimmbare Tiefe zu stürzen, obwohl sie festen Boden unter den Füßen fühlten. Allerdings konnten solche Empfindungen natürlich täuschen; es war unmöglich, daraus echte wissenschaftliche Daten zu gewinnen.
Und so stürzten Lunas Bewohner.
Tagelang.
Wochenlang.
Monatelang.
In den Bars und Etablissements der Mondstädte schwangen die Stammgäste, ob betrunken oder nüchtern, große Reden. Jeder passte sich auf seine Weise an, akzeptierte, dass es vielleicht bis zum Lebensende so weitergehen würde, oder rebellierte innerlich dagegen, ohne etwas ändern zu können.
Haltlose Behauptungen machten die Runde, wie das in unbegreiflichen Situationen so üblich war: dummes Geschwätz. Luna sei »aus der Raumzeit gefallen« und sogar »für alle Ewigkeit verdammt«. Was immer das bedeuten sollte. Natürlich ernteten die schwachsinnigsten Stammtischparolen den meisten Applaus.
Als sie fast ein halbes Jahr in diesem Schacht gefangen saßen, entschied sich der Administrator von Luna, Kolin Earthart, den nächsten Schritt zu gehen, und verkündete sein neuestes Experiment. Den ultimativen Versuch, in den er vor allem zwei Dinge gesteckt hatte: eine Menge Geld und sämtliche wissenschaftliche Kompetenz, auf die er zugreifen konnte.
*
Tamea Sipiera saß zwischen ihren beiden Männern und wartete. Gemeinsam mit Antonin und Golo konnte sie kaum erwarten, bis es endlich Punkt 20 Uhr war; da ging es ihr wie fast jedem der über eine Milliarde Menschen auf Luna.
Antonin ärgerte sich, dass sogar er als Sicherheitschef der Hauptstadt Luna City nicht wusste, welche Ergebnisse die Spezialsonde gebracht hatte, die in den Schacht geschickt worden war.
Die Entwicklung der höchst komplexen Technologie samt den Schutzvorrichtungen hatte in den letzten Wochen Unsummen verschlungen. Seiner Meinung nach hätte es gern auch das Doppelte kosten können – es gab nichts Wichtigeres, als herauszufinden, was genau mit Luna geschah. Nur dann konnte man dagegen vorgehen und auf eine Rückkehr ins Normaluniversum hoffen, sei es nun am angestammten Platz in der Milchstraße oder sonst wo.
Hauptsache, raus aus dem Schacht.
Hauptsache, irgendwo im
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